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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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fahrt ihr zwei weg und kommt nicht zurück. Kapiert? Hast du mir zugehört?
    Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und schüttelte den Kopf.
    Temple, ich rede mit dir. Seine harte Stimme ließ sie zusammenfahren. Du tust genau, was ich dir befehle, verstanden?
    Ja, Onkel Jackson.
    Ich bleibe hier und erledige das, bevor es mich ganz gepackt hat.
    Er drückte die Waffe an die Brust.
    Du hast jetzt größere Sorgen, Würmchen. Du hast aus dieser Welt ein Zuhause gemacht – ich weiß nicht, wie du das geschafft hast, aber es ist so. Und das heißt, dir steht alles offen. Du bist überall daheim. Hast du mich verstanden?
    Ja, Onkel Jackson.
    Lass dir von niemandem erzählen, dass du irgendwo nicht hingehörst. Du bist mein kleines Würmchen, und du wirst es weit bringen und es ihnen allen zeigen.
    Ja, Onkel Jackson.
    Und jetzt verschwinde. So ist es gut. Ich werde mich an dich erinnern. Das ist das Versprechen eines Toten. Egal, wohin meine Gedanken wandern, du wirst bei mir sein.
    Für jeden kommt irgendwann die Zeit, wo er sterben muss, sagt Temple. Bei ihm war es eben so weit. Wahrscheinlich hat Gott das alles irgendwo aufgeschrieben – aber es würde trotzdem nix nützen, wenn man’s liest.
    Er reicht ihr die Flasche, und sie trinkt. In ihrer Brust und den Wangen breitet sich eine wohlige Wärme aus. Sie streicht über den glatten Taftstoff ihres Kleides. Die milde Nachtluft kitzelt sie im Nacken, und sie erschauert.
    Wie lang warst du bei ihm?
    Zwei, drei Jahre. Sie zuckt die Achseln. Ich kann mir die Zeit nich merken.
    Und seitdem bist du herumgereist?
    Mehr oder weniger.
    Was ist mit dem Jungen? Malcolm, meine ich. Was ist mit ihm passiert?
    Sie presst die Lippen aufeinander und starrt hinaus zum violettschwarzen Horizont.
    Es war bei dem Riesen vor Tulsa. Dort passierte es. Unter dem Riesen. Ein eiserner Mann mit Zylinder, der stolze acht Stockwerke hoch aufragte, einen Arm in die Hüfte gestemmt, die andere Faust auf einem Ölbohrturm. Eine strenge, mächtige Gestalt wie ein Soldat Gottes, der mit seinen Schritten die Erde erschüttern konnte. Die Einheimischen hatten ihr davon erzählt: ein Überbleibsel der Vergangenheit, ein gewaltiges Wahrzeichen der Ölindustrie aus ihrer Jahrzehnte zurückliegenden Glanzzeit.
    Malcolm wollte ihn unbedingt sehen.
    Also machten sie einen Umweg, stoppten und fühlten sich winzig, als sie hinaufstarrten.
    Wer hat ihn gebaut?, fragte Malcolm.
    Weiß nicht. Die Stadt wahrscheinlich.
    Warum?
    Sie zuckte die Achseln. Keine Ahnung. Es gibt den Leuten ein gutes Gefühl, wenn sie was Großes bauen. Wahrscheinlich kommt es ihnen wie ein Fortschritt vor.
    Fortschritt wohin?
    Völlig egal. Höher rauf, tiefer runter, weiter raus. Solang du in Bewegung bist, is es egal, wo du hinkommst oder was dir nachjagt. Deswegen nennen sie es Fortschritt. Es läuft von selbst weiter.
    Werden solche Sachen noch immer gebaut?
    Nich viele, glaub ich.
    Weil es keinen Fortschritt mehr gibt?
    Was redest du denn da? Natürlich gibt es noch Fortschritt. Bloß nich mehr bei Statuen von eisernen Männern.
    Wo dann?
    An vielen Stellen. In dir zum Beispiel.
    In mir?
    Klar. In der ganzen Geschichte des Planeten hat’s noch nie einen Jungen wie dich gegeben. Einen Jungen, der die Sachen sieht wie du. Ein Junge, der die gleichen Kämpfe durchgestanden hat wie du. Du bist was ganz Neues. Was Brandneues.
    Er kratzte sich an der Nase und dachte über ihre Worte nach. Dann starrte er wieder den eisernen Mann an. Auf jeden Fall mag ich ihn. Er wird nie sterben.
    Er hatte Recht. Er brachte sie dazu, den Umweg zu machen, anzuhalten und hinaufzuschauen, und alles danach passierte, wie es passierte, und sie kann nichts mehr daran ändern – aber was den eisernen Mann angeht, hatte er Recht. Es war ein beeindruckender Anblick und erzählte von Erfindergeist, menschlichem Stolz und dem unsterblichen Geist der Evolution – ein mächtiges Bauwerk, das seinen Schatten weit über die Straße hinaus bis zu den fruchtbaren Feldern Amerikas warf. Ein Land des Irrens und Staunens, des Profits und der Perversion. Mit einem Gefühl wie Gott beim Abendessen im Himmel, die Horizonte rosig und blau, eine Grenze, durchweht von Atem und Fleiß, als könnte selbst Gott an der Schönheit dieses Ortes ersticken, als könnte er sich zusammenrollen und sterben beim Anblick seiner eigenen Schöpfung mit all dem Rasiermesserrot des Westens und der morschen Eleganz des angeschlagenen Südens, dem Kojotengeheul, dem kannibalischen

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