Nach dem Ende
zwei Zentner schweren Baby, und er scheint gut auf ihre Stimme zu reagieren.
Dann stellt Temple fest, dass sie nichts zu tun hat. Mrs. Grierson spielt Patience im Salon, Richard übt immer wieder das gleiche Stück am Klavier, ohne dass sie eine Veränderung erkennen kann, und James ist spurlos verschwunden. Sie fragt sich, wie Menschen so ein Leben führen können – gefangen in einem Haus, dessen Fenster so deutlich zeigen, wo man überall sein könnte.
Sie geht hinaus und läuft um das Haus herum, die Auffahrt entlang und wieder zurück und hinauf in den Wald. Schließlich stößt sie auf den elektrischen Zaun und folgt ihm um das ganze Gelände, immer bemüht, sich die Füße nicht allzu schmutzig zu machen. Das Grundstück ist ziemlich groß, und sie braucht eine halbe Stunde, um seine Grenzen abzuschreiten. Auf der Seite des Hauses befindet sich eine Weinlaube mit Spalier und einer Holzschaukel, die an einem Ast hängt. Sie setzt sich darauf und schwingt ein paarmal hin und her.
Was machst du da? James Grierson taucht hinter ihr auf und lehnt sich an den Baumstamm.
Nichts, antwortet sie. Wollte nur die Schaukel ausprobieren. Quietscht ein bisschen, funktioniert aber noch.
Von wegen. Du hast heute Morgen schon zweimal das ganze Grundstück durchstreift. Erkundest du das Gelände?
Nein. Ich find’s nur irgendwie komisch, wie die Welt auf einmal so schrumpfen kann, dass man sie an einem Vormittag zweimal ablaufen kann.
Er nickt.
Was machst du eigentlich? Schleichst du mir vielleicht nach?
Hör zu, fängt er an. Gestern Abend … ich hätte nicht … ich wollte nicht … ich glaube, es war ein Fehler.
Was soll das heißen? Dass du mich nich liebst? Dass du mich nich in ein bauschiges weißes Kleid stecken und heiraten willst? Sie lacht.
Na schön. Er senkt den Blick auf seine Füße. Ich wollte nur was erklären. Ich war …
Du meinst, ich habe meine blühende Mädchenehre befleckt mit einem Mann, der keine edlen Pläne für eine gemeinsame Zukunft schmiedet? Wieder lacht sie auf.
Er wirkt belämmert.
Wann muss ich einen Knicks vor deinem Vater machen, damit er uns seinen Segen gibt?
Jetzt reicht’s. Seine Augen funkeln zornig.
Okay, okay. Hab dich nur ein bisschen aufgezogen. Ihr Griersons seid ein empfindlicher Haufen. Auf der einen Seite Brötchen und Modellschiffe, auf der anderen Empörung und Entsetzen. Deine Familie lebt an entgegengesetzten Polen, wo alle anderen sich irgendwie in der breiten Mitte durchschlagen müssen.
Entschuldige. Du hast meinen Vater erwähnt.
Er is krank, oder? Wie lang schon?
Seit einem Jahr ungefähr.
Klingt ziemlich krank. Was fehlt ihm denn?
Was ihm fehlt, ist, dass er als Grierson geboren wurde. Die ganze Familie ist eine einzige Krankheit.
Ach, komm. So schlimm sind sie nun auch wieder nich. Ein bisschen schrullig vielleicht, aber sie haben ein Herz.
Herz! Er lacht hämisch. Willst du mal sehen, wie viel Herz? Ich zeig’s dir. Komm mit, ich stelle dich meinem Vater vor.
Hey, langsam. Das war nur ein Witz. Ich brauch keine Griersons mehr kennenlernen. Hab die Schnauze schon ziemlich voll von ihnen.
Ach was, du wirst ihn mögen. Er ist anders. Leichter einzuordnen.
Er nimmt sie am Handgelenk und bringt sie zurück zum Haus. Doch drinnen steigen sie nicht über die Haupttreppe hinauf, sondern passieren eine Tür in der Küche, die hinunter in den Keller führt. Hier ist es muffig, und ihr sticht ein vertrauter Geruch in die Nase. Als James einen Schalter umlegt, springt das Licht an, und sie bemerkt einen Käfig aus rohem Holz und Maschendraht auf dem mit Knüpfteppichen belegten Betonboden.
Zuerst hat es den Anschein, als wäre gar nichts in dem Käfig. Dann registriert sie die zusammengekauerte Gestalt in der Ecke.
Darf ich vorstellen: Randolph Grierson, verkündet James. Der Patriarch der Familie Grierson, Mrs. Edna Griersons geliebter Sohn, eine Zierde der amerikanischen Aristokratie – und mein Vater.
Langsam hebt sich der Kopf, bis die vertrockneten Lippen, die eingesunkenen Augen und die graue, zum Teil abgeblätterte und an den Rändern schwarze Haut zum Vorschein kommen. Der Blick ist schwammig wie der eines Blinden, der sich nicht nach dem Licht richtet, sondern nach Geräuschen.
James, wie lang is dein Daddy schon tot?
Ungefähr ein Jahr, hab ich doch gesagt. Weißt du, den Griersons fällt es schwer, loszulassen. Vielleicht meinst du das, wenn du davon redest, dass die Familie ein Herz hat.
Randolph Grierson hat einen
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