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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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das Gewicht seiner Augen.
    Temple sucht sich ein Fenster an der Rückseite des Hauses, das auf eine kleine Gasse führt, und macht sich heimlich davon. Sie nimmt ihren unbeholfenen Begleiter an der Hand und zieht ihn mit, damit er Schritt hält, während sie von einer Deckung zur nächsten huschen. Schließlich haben sie das Dorf hinter sich gelassen und können langsamer gehen.
    Sie halten sich rechts von der Straße und folgen ihr, bis sie beim Auto sind. Jemand hat es in einen Graben geschoben. Es hat sich mit der Schnauze nach vorn schräg ins Unkraut gebohrt, und die Fahrertür steht weit offen.
    Die Reisetasche mit den Waffen ist verschwunden, aber unter dem Fahrersitz entdeckt sie eine Pistole mit einem vollen Magazin. In eine Ecke des Kofferraums ist ein Leinensack geklemmt, den sie herauszerrt, um ihn mit Vorräten zu füllen: Klamotten, unter anderem auch das gelbe Sommerkleid von Ruby, mehrere Landkarten, mit denen sie sich ihren Weg nach Westen gesucht hat, eine halbe Flasche Wasser, ein Feuerzeug und die Überreste einer großen Packung Käsecracker.
    Im Handschuhfach findet sie den Kampfjet aus Spritzguss aus dem Spielzeugladen. Immer wieder dreht sie ihn in der Hand.
    Hey, Maury, komm mal her. Sie streckt ihn ihm hin, aber er reagiert nicht.
    Schau, erklärt sie. Das is ein Flugzeug. Zum Fliegen durch die Luft.
    Sie deutet zum Himmel und zeigt, wie der Kampfjet dort oben herumfliegt. Die ganze Demonstration begleitet sie mit einem brausenden Geräusch.
    Hier, kannst ihn haben.
    Jetzt nimmt er ihn und starrt auf seine Handfläche, als würde er darauf warten, dass der Jet aus eigener Kraft abhebt.
    Aber verlier ihn nich. Steck ihn lieber in die Tasche.
    Ganz hinten im Handschuhfach stößt sie auch auf die Plastiktüte mit ihrer Fingerspitze. Sie ist verschrumpelt wie eine Rosine und ganz grau bis auf den Nagel, der immer noch zartrosa schimmert. Sie betrachtet ihre anderen neun Fingernägel. Keine Spur mehr von dem Zuckerwattelack. Stattdessen schwarzes, fest verkrustetes Blut unter den Nägeln, als hätte sie keine Finger, sondern Klauen zum Graben in der Erde.
    Sie rollt die Plastiktüte zusammen und steckt sie in die Tasche.
    Sag auf Wiedersehen zum Auto, fordert sie Maury auf. Wir latschen jetzt erst mal ein Stück, bis wir einen neuen fahrbaren Untersatz auftreiben.
    Auf dem Rückweg schlagen sie einen weiten Bogen um das Dorf, aber sie hören Gebrüll und Gezeter – laute Schreie des Zorns und der Trauer.
    Ich glaub, die haben die Schweinerei entdeckt, die wir hinterlassen haben. Meinst du, die verfolgen uns, Maury? Auf jeden Fall müssen wir die Augen offen halten. Würd mich interessieren, was sie mit dem alten Mose angestellt haben.
    Zwei Meilen außerhalb des Dorfs stoßen sie auf ein Bahngleis und folgen ihm in östlicher Richtung. Auf diese Weise meiden sie die Hauptstraße, kommen schnell voran und können erkennen, ob ihnen jemand auf den Fersen ist. Mit dem Gurkhamesser schneidet Temple einen Wanderstab für Maury zurecht, und er lässt ihn über die Gleisschwellen schleifen. Das rhythmische Klopfen von Holz auf Holz ist wie ein altmodischer Schrittmesser, der anzeigt, welche Strecke sie zurückgelegt haben.
    Am Himmel vor ihnen senkt sich die Sonne herab, und das Einzige, was ihnen folgt, sind ihre Schatten, die sich lang und verzerrt hinter ihnen ausdehnen. Ihre Schritte knirschen im Kies des Gleisbetts, und ihr fällt auf, dass die Schienen nicht braun verrostet sind, sondern blitzblank schimmern. Ob die vielleicht noch von jemandem benutzt werden?
    Die Sonne geht unter, doch der Himmel bleibt hell, als würden sie am äußersten Rand einer flachen Erde entlangwandern. Noch immer herrscht Licht, als die kudzuüberwucherten trockenen Bäume auf der rechten Seite allmählich ausdünnen und den Blick auf einen parallel verlaufenden Fluss freigeben.
    Schau dir das an, sagt sie.
    Breit und träge wälzt sich das Gewässer dahin, das Ufer dicht mit Schilf bewachsen. Angestrengt späht sie in die hinter ihnen liegende Ferne. Nichts.
    Komm, Maury, wir nehmen ein Bad. Du hast es fast so dringend nötig wie ich.
    Also ziehen sie sich aus und waten – besudelte Bittsteller einer entweihten Erde – ins Wasser. Bleich und breit, fast haarlos sitzt Maury dann an einer seichten Stelle, reglos umspült wie ein eingesunkener Stein, während sie wie ein beflecktes Unschuldslamm den Kopf untertaucht, als könnte sie durch diese Taufe das Himmelreich erlangen, und wieder auftaucht, um zu erleben, wie

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