Nach dem Ende
die Zeichen des Zerfalls allmählich zerrinnen und ihre rosige Haut wieder durch die Maske der Verwesung schimmert. Sie fährt sich mit den Fingern durchs Haar und beobachtet, wie die Klumpen aus Blut und Gewebe und die Knochensplitter weggewaschen werden. Von oben sieht es sicher aus, als wäre sie ein Komet mit Schweif, sie der hell leuchtende Kopf, gefolgt von einem wirbelnden Delta aus rotbraunem Morast. Danach sitzt sie bis zur Hüfte im Wasser und zupft sich kleine Glasscherben aus dem Gesicht und den Händen und spült die Risse mit dem kühlen Nass aus, bis das Brennen verklingt.
Dann holt sie die Kleider vom grasigen Ufer, taucht sie ein und wringt sie aus, bis alle Krusten und Schuppen verschwunden sind. Nur die rostigen Flecken wollen nicht verschwinden und werden es wohl auch nie mehr tun.
Als sie gereinigt dem Fluss entsteigen, ist der Himmel tief violett, und durch die dunstigen Nachtwolken blinken Sterne.
Im Wald sammeln sie Zweige und Holz, und sie stapelt es auf und benutzt ein Büschel trockenes Gras, um hinter einem Felsvorsprung Feuer zu machen, wo es aus der Richtung des hinter ihnen liegenden Dorfs nicht gesehen werden kann. In der Nähe der Flammen breitet sie ihre Kleider über die Steine und beobachtet, wie in faserigen grauen Zungen der Dampf aus ihnen emporkräuselt. Kalter Nachtwind kommt auf, und sie hat am ganzen Körper Gänsehaut.
Schläfrig betrachtet sie das Feuer, und wenn sie mit einem Stock hineinstochert, fliegen Glutstückchen in die Luft wie eine verrückte Insektenschar und verschwinden dann einfach, als hätten sie sich in eine der vielen Falten der Nacht verkrochen.
Sie betrachtet den Mann neben sich, dessen flache Augen völlig in die Flammen vertieft sind. In seinem Kopf ist nur wenig Platz, und im Moment ist dieser Raum erfüllt vom unaufhörlichen Wandel des Feuers.
Was da hinten passiert is, sagt sie. Ich meine, ich weiß, dass du nich drum gebeten hast. Trotzdem.
Er starrt weiter gebannt in die Flammen.
Wahrscheinlich hab ich mich zu lange bei den Fleischsäcken rumgetrieben. Manchmal passiert es einfach, dass ich ausraste. Wie wenn in meinem Hirn ein Schalter angeknipst wird, weißt du? Und dann zerfetzen und zerreißen meine Hände nur noch und kümmern sich nich mehr um das Warum oder Wozu.
Im Feuer knacken und zischen die Zweige, die sie aufgelesen haben.
Und es is verkehrt. Eine Sünde, so groß wie die Welt, in der wir leben, sogar noch größer – sich an einer Kreatur Gottes zu vergreifen und sie auszulöschen. Egal, wie hässlich ein Wesen is, es is eine Sünde, und Gott wird schreckliche Vergeltung dafür üben – das weiß ich. Hab es selbst erlebt. Aber die Wahrheit is … die Wahrheit is, ich weiß einfach nich, wann ich auf den falschen Weg gekommen bin. Moses meint, ich bin nich böse, aber wenn ich nich böse bin … Wenn ich nich böse bin, was bin ich dann? Weil meine Hände, verstehst du, die haben anscheinend gar kein Ziel, außer wenn sie einen Schädel einschlagen oder eine Kehle aufschlitzen. Das is die volle Wahrheit bei der ganzen Sache. Die Fleischsäcke, ja, sie töten die Leute – aber nich, weil es ihnen Spaß macht. Maury, du wanderst wirklich auf einer einsamen Erde rum – einer Erde voller Verfehlungen und Gemeinheiten –, aber das schlimmste Grauen sitzt neben dir.
Oben am Himmel hängt der Mond wie ein kleiner Span, wie eine Kerzenflamme kämpft er zart und schwach gegen die Unerbittlichkeit der Nacht an. Als müsste man den Atem anhalten aus Furcht, ihn ganz auszublasen.
Wenn der klobige Kerl neben ihr auch nur ein Wort von dem versteht, was sie gesagt hat, so ist es ihm nicht anzumerken.
Sie nickt vor sich hin.
Worauf ich rauswill, verkündet sie schließlich, is, dass wir dich am besten bald nach Texas bringen, damit du mich los bist.
11
T age des Wehens und Wanderns. Sie folgen den Gleisen, die Morgensonne im Rücken. Mit unbeholfenen Schritten stapft Maury neben ihr dahin – gelenkt von seiner auf Temple gerichteten Schwerkraft. Wenn sie sich in den Wald zurückzieht, weil sie glaubt, ein Geräusch gehört zu haben, folgt er ihr ohne Frage und Verwirrung. Wenn sie stehen bleibt, um nach der Sonne zu schauen oder sich die Füße im Fluss zu erfrischen, der immer noch neben der Bahnstrecke verläuft, stoppt er ebenfalls ab.
Nachdem die Cracker alle sind, essen sie Beeren und Fische aus dem Fluss, die sie mit einer Tüte aus dem Geröll zwischen den Gleisen fängt. Immer wenn sie eine Straße überqueren, hält
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