Nach dem Ende
quillt eine graue Masse aus der umgestürzten Schale seines Schädels.
Als sie das Gurkhamesser klirrend zu Boden fallen lässt, hört sie hinter sich ein Wimmern. Es ist Royal, der immer noch sein Auge hält und leise auf sie schimpft. Gott verfluch dich, Gott verfluch dich, du hast niemand.
Sie schweigt. In dem Chaos auf dem Tisch entdeckt sie einen Bunsenbrenner mit einem schweren Metallsockel. Sie packt ihn fest am verrosteten Chromrohr und trägt ihn hinüber zu Royal.
Royal liegt auf dem Boden und weicht ängstlich zurück. Was machste da? Hör auf, ich hab dir nix getan. Verdammt, ich hab dir überhaupt nix getan …
Sie reißt die Faust hoch und knallt ihm den runden Sockel des Bunsenbrenners an den Kiefer. Sie hört ein Bersten, und seine oberen und unteren Zähne treffen nicht mehr aufeinander, wie sie es sollten.
Dann macht sie sich über seinen Kopf her und beobachtet sich selbst durch den Vorhang des wolkenbruchartigen Regens in ihrem Gehirn. Sie hört erst auf, als der Körper schon längst nicht mehr zuckt.
10
I m heißen Gestank von frischem Schlachtabfall erhebt sie sich wie der schreckliche Geist eines im Kampf gefallenen Soldaten, die Hände klebrig von den breiigen Überresten des Gemetzels. In dem schlammig verschmierten Zimmer sind alle Schreie verhallt, und nur noch das dünne, insektenzarte Sirren der drei nackten Glühbirnen in den von der Decke hängenden Keramikfassungen ist zu hören. Selbst die eingesperrten Schaben haben ihr unentwegtes Schlurfen unterbrochen, um mit beifälligem Blick das Massaker zu betrachten – wie in Harmonie mit der unerbittlichen Melodie des grimmigen Todes und aus Achtung vor der Gemeinde der Ausgelöschten.
Langsam richtet sie sich auf und blinzelt. Ihre Augen sind wie gebleichte Waffeln in dem braunen Schaum aus Blut, der auf Wangen und Lippen und Hals schon zu Krusten trocknet. Keinen Finger rührt sie, um sich zu säubern, gezeichnet wie sie ist von einer rituellen Gewalt: eine primitive Jägerin, die sich mit den Überresten ihrer Beute schmückt.
Maury scheint völlig unbeeindruckt von dem Werk der Zerstörung um ihn herum. Als sie auf ihn zutritt, berührt er sie mit den Fingerspitzen am Gesicht, als wollte er die rostfarbene Maske wegwischen, um sie wiederzuerkennen.
Soll mich der Teufel fressen und wieder ausspucken, Kleine, flüstert Moses Todd fast ehrfürchtig in seiner Zelle. Möchtest du mir vielleicht verraten, was da grade in dich gefahren ist?
Sie schweigt. Hilft Maury vom Stuhl und schiebt mit den Füßen die blutzbespritzten Scherben weg, damit er nicht hineintappt.
Wirklich, fährt Moses fort, so wie du gewütet hast, hättest du auch zwanzig Leute umbringen können, nicht nur diese drei Scheißkerle. Will mich nicht beschweren, ich mein ja bloß.
Sie klaubt das Gurkhamesser auf und klemmt es sich unter den Arm, dann führt sie Maury zur Tür.
Du hast eine brennende Flamme in dir. Ich möchte nicht der sein, der sich dir in den Weg stellt, wenn du dich für was entschieden hast. Aber ich glaube, ich bin derjenige, oder?
Sie ignoriert ihn.
Deinen neuen Bekannten da hast du ja richtig liebgewonnen. Maury. Ein schöner Name. Hatte mal einen Cousin, der so hieß. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was aus ihm geworden ist. Wahrscheinlich ist er gefressen worden.
Er sitzt auf dem Boden, gemütlich mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Wir sehen uns, Kleine.
Ohne ein Wort bringt sie Maury hinaus und über die Treppe hinauf in den großen zentralen Raum des Rathauses. Sie setzt ihn auf einen Stuhl, der nicht am Fenster steht, und späht hinaus auf die Straße. Ein paar von ihnen sind dort draußen, aber nicht viele. Eine von ihnen ist Millie, die mitten auf der Kreuzung steht und mit Kreide Bilder auf den Asphalt malt.
Maury, du bleibst hier. Hast du gehört? Bleib hier. Bin gleich wieder da.
Still sitzt er da und kneift die Augen zusammen gegen das Sonnenlicht, das durch die Fenster einfällt.
Temple läuft wieder die Treppe hinunter. Sie steigt über Royal, dessen Kopf zerquetscht ist wie die Überreste einer mürben Melone, und bleibt vor Moses’ Zelle stehen.
Lange steht sie so da und erwidert seinen forschenden Blick, bevor sie schließlich spricht. Mit mir stimmt was nich, Mose.
Wirklich, Kleine?
Schau dich doch um. Mit einer weit ausholenden Geste deutet sie auf die blutige Szenerie.
Du hast bloß deinen Freund verteidigt, meint Moses.
Es war … Sie merkt, wie ihre Stimme zu einem Flüstern absinkt, als wären die
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