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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Ich hab dich als Wolf gesehen. Also sag mir, warum du glaubst, du hättest ein Mittel dagegen gefunden.«
    »Warum sollte ich dir das erzählen?«
    »Weil ich - im Gegensatz zu deinem Vater - keine Tiere ausstopfe und sie mir in die Eingangshalle stelle. Und weil ich vermeiden will, dass du wieder an der Schule oder vor anderer Leute Haustüren auftauchst und das Rudel verrätst. Wir versuchen einfach nur, irgendwie mit unserem verkorksten Leben klarzukommen. Und da können wir keinen heuchlerischen reichen Penner wie dich gebrauchen, der uns auffliegen lässt, damit die Leute mit Mistgabeln auf uns losgehen.«
    Jack knurrte. Es klang ein bisschen zu animalisch für meinen Geschmack, und als er auch noch leicht erschauderte, sah ich mich in meinem Verdacht bestätigt. Er war noch so instabil - er konnte sich jeden Moment verwandeln.
    »Darüber brauche ich mir keine Gedanken mehr zu machen. Ich weiß, wie ich das wieder loswerde, also hau gefälligst ab und lass mich in Ruhe.« Er trat langsam von der Kücheninsel zurück, bis er mit dem Rücken zur Arbeitsplatte stand.
    Ich sprang von meiner Theke. »Jack, es gibt kein Heilmittel.«
    »Falsch«, zischte er. »Es gibt einen Wolf, der geheilt wurde.«
    Langsam bewegte er sich auf den Messerblock zu. Ich hätte hinausrennen sollen, aber seine Worte hatten mich erstarren lassen. »Was?«
    »Ja, ich hab lange gebraucht, aber ich hab es herausgefunden. Es gibt ein Mädchen an der Schule, das gebissen wurde und jetzt wieder normal ist. Grace. Ich weiß, dass sie das Heilmittel kennt. Und das wird sie mir ganz schnell verraten.«
    Für einen Augenblick geriet meine Welt ins Wanken. »Lass die Finger von ihr.«
    Jack grinste mich an oder vielleicht war es auch nur eine Grimasse. Die Hand auf der Arbeitsplatte, tastete er sich nach hinten auf die Messer zu. Seine Nasenflügel bebten, sogen den leichten Wolfsgeruch ein, den die Kälte auf meiner Haut hatte entstehen lassen.
    »Warum?«, fragte er. »Willst du es etwa nicht wissen? Oder hat sie dich vielleicht schon geheilt?«
    »Es gibt kein Heilmittel. Sie weiß überhaupt nichts.« Ich hasste meine Stimme dafür, dass sie so viel enthüllte; meine Gefühle für Grace schienen gefährlich offenzuliegen.
    »Das kann man nie wissen, Mann«, entgegnete Jack. Er griff nach einem Messer, doch seine Hand zitterte so stark, dass es ihm durch die Finger glitt. »Und jetzt raus hier.«
    Ich rührte mich nicht. Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dass er zu Grace ging und das Heilmittel verlangte. Ich sah ihn vor mir, zitternd, instabil, aggressiv, und sie, die ihm nicht die Antwort geben konnte, die er hören wollte.
    Endlich gelang es Jack, einen der Griffe zu packen, und er zog ein bedrohlich aussehendes Messer mit gesägter Klinge hervor, die das Schwarz-Weiß der Küche in alle Richtungen reflektierte. Er zitterte so stark, dass er das Messer nur mit Mühe auf mich richten konnte. »Ich glaube, ich hatte dich gebeten zu gehen.«
    Mein Instinkt drängte mich, auf ihn loszugehen, wie ich es mit einem der Wölfe gemacht hätte, nach seiner Kehle zu schnappen und ihn zur Unterwerfung zu zwingen. Ihm das Versprechen abzuringen, dass er sich von ihr fernhalten würde. Aber in der Welt der Menschen funktionierte das so nicht, zumindest nicht, wenn der Gegner so viel stärker war als man selbst. Ich ging auf ihn zu und sah ihm dabei in die Augen, nicht auf das Messer in seiner
    Hand; ich probierte es mit einer anderen Taktik. »Jack. Bitte. Sie kennt die Antwort nicht, aber ich kann dir helfen, damit das alles ein bisschen leichter wird.«
    »Hau endlich ab.« Jack machte einen Schritt auf mich zu, dann einen zurück, bevor er taumelte und in die Knie ging. Das Messer fiel auf die Fliesen; schon bevor es dort landete, zuckte ich zusammen, doch der Aufprall klang erstaunlich gedämpft. Jack gab fast keinen Laut von sich, als er neben dem Messer zu Boden ging. Seine Finger waren zu Klauen verkrampft, die sich auf den schwarz-weißen Fliesen öffneten und schlossen. Er versuchte etwas zu sagen, brachte aber nur ein unverständliches Gebrabbel zustande. In meinem Kopf formten sich Verse. Sie hätten von ihm handeln sollen, aber in Wirklichkeit handelten sie von mir. World of words lost on the living /I take my place with the Walking dead / Robbed of my voice I'm always giving / thousands of words to this nameless dread.
    Ich hockte mich neben ihn und schob das Messer aus seiner Reichweite, damit er sich nicht damit verletzte.

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