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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Schutzumschlägen. Langsam ging ich in die Mitte des Raumes, blieb auf dem orange-braunen Teppich stehen und drehte mich langsam um mich selbst, um alles in mich aufzunehmen.
    Und der Geruch - Sams Geruch war überall in diesem Raum, als wäre er mit mir hier, als hielte er meine Hand und sähe sich die Bücher mit mir zusammen an und wartete darauf, dass ich sagte: »Wie wunderschön.«
    Gerade wollte ich das Schweigen brechen und so etwas sagen wie »Dann weiß ich ja jetzt, woher Sam seine Liebe zu Büchern hat«, als Beck beinahe entschuldigend meinte: »Tja, wenn man so viel Zeit im Haus verbringt, kommt man viel zum Lesen.«
    Plötzlich erinnerte ich mich an etwas, was Sam mir über Beck erzählt hatte: Dies war sein letztes Jahr als Mensch. Er würde diese Bücher nie mehr lesen. Meine Stimme drohte zu versagen, ich sah Beck an und brachte nur ein dümmliches »Ich liebe Bücher« heraus.
    Er lächelte, so als hätte er das schon gewusst. Dann sah er Isabel an, die ihren Hals verrenkte, als läge womöglich Jack in einem dieser Regale.
    »Jack ist wahrscheinlich im Zimmer nebenan und spielt Videospiele«, bemerkte Beck.
    Isabel folgte Becks Blick zum Flur. »Er springt mir doch wohl nicht an die Kehle, wenn ich zu ihm reingehe?«
    Beck zuckte mit den Schultern. »Nicht mehr als sonst, würde ich sagen. Das ist das wärmste Zimmer im ganzen Haus und ich glaube, er fühlt sich da drin am wohlsten. Aber er verwandelt sich immer noch ziemlich oft. Sei vorsichtig, ja?«
    Es war interessant, wie er über Jack sprach - eher wie über ein Tier als über einen Menschen. Als würde er Isabel erklären, wie sie sich einem Gorilla im Zoo nähern sollte. Als sie nebenan verschwunden war, deutete Beck auf einen der zwei weichen roten Sessel im Zimmer. »Setz dich.«
    Dankbar ließ ich mich in einen der Sessel sinken. Er roch nach Beck und nach einigen anderen Wölfen, aber am allermeisten nach Sam. Es war so leicht, ihn sich hier unten vorzustellen, zusammengerollt in diesem Sessel, mit einem Buch auf dem Schoß; ganz damit beschäftigt, sich einen widerwärtig großen Wortschatz anzueignen. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Seite des Sessels und versuchte so zu tun, als läge ich in Sams Armen, dann wandte ich mich Beck zu, der im Sessel gegenüber Platz nahm. Nicht so, wie es sich gehörte, sondern er ließ sich mit ausgestreckten Beinen hineinplumpsen. Er sah müde aus. »Ich bin ein bisschen überrascht, dass Sam dich so lange geheim gehalten hat.«
    »Ja?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich sollte ich das nicht sein. Ich hab ihm schließlich auch nicht von meiner Frau erzählt.«
    »Er wusste es. Er hat sie mal erwähnt.«
    Beck lachte kurz, voller Zuneigung. »Das sollte mich nun wirklich nicht überraschen. Es war unmöglich, irgendetwas vor ihm geheim zu halten. Klingt vielleicht abgegriffen, aber er konnte in Menschen lesen wie in einem Buch.«
    Wir sprachen beide in der Vergangenheitsform von ihm, als wäre er tot.
    »Glaubst du, ich sehe ihn wieder?«
    Sein Gesicht wirkte abwesend, es war unmöglich zu deuten. »Ich glaube, dieses Jahr war sein letztes. Wirklich. Ich weiß auch, dass es mein letztes ist. Ich weiß nicht, warum er nur so wenig Zeit hatte, das ist eigentlich nicht normal. Ich meine, es variiert zwar, aber ich wurde vor über zwanzig Jahren gebissen.« »Zwanzig?«
    Beck nickte. »In Kanada. Ich war achtundzwanzig, ganz am Anfang meiner Karriere. Ich war im Wanderurlaub.«
    »Was ist mit den anderen? Wo kommen die her?«
    »Von überall. Als ich hörte, dass es in Minnesota Wölfe gab, dachte ich, es könnte gut sein, dass sie so sind wie ich. Also suchte ich nach ihnen und ich hatte recht. Paul hat sich meiner angenommen. Paul ist -«
    »Der schwarze Wolf.«
    Er nickte. »Möchtest du einen Kaffee? Gerade würde ich töten für Kaffee, wenn du den Ausdruck entschuldigst.«
    Dankbar bejahte ich. »Das wäre toll. Wenn du mir zeigst, wo die Kaffeemaschine ist, mache ich gern welchen.« Er deutete auf eine Nische zwischen zwei Bücherregalen, neben einem winzig kleinen Kühlschrank. »Du kannst ruhig weiterreden.«
    »Worüber denn?«, fragte er gut gelaunt.
    »Das Rudel. Wie es so ist, ein Wolf zu sein. Sam. Warum du Sam gebissen hast.« Ich hielt inne, in der Hand einen Kaffeefilter. »Ja. Genau. Das interessiert mich am meisten.«
    Beck vergrub das Gesicht in den Händen. »Oh Gott, das Schlimmste zuerst. Ich hab Sam gebissen, weil ich der egoistischste, gewissenloseste Idiot der Welt

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