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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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bin.«
    Ich maß Kaffeepulver für zwei Tassen ab. Ich hörte das Bedauern in seiner Stimme, aber so leicht würde ich ihn nicht vom Haken lassen. »Das ist kein Grund.«
    Tiefer Seufzer. »Ich weiß. Jen - meine Frau - war gerade gestorben. Sie hatte Krebs im Endstadium, als ich sie kennenlernte, ich wusste also, dass es passieren würde, aber ich war jung und dumm und dachte, dass ja vielleicht ein Wunder geschehen würde und wir glücklich bis in alle Ewigkeit leben würden. Egal. Es gab kein Wunder. Ich wurde depressiv. Ich dachte daran, mir das Leben zu nehmen, aber das Komische daran, einen Wolf in sich zu haben, ist, dass sich Selbstmord gar nicht nach so einer guten Idee anhört. Ist dir mal aufgefallen, dass Tiere sich nie absichtlich das Leben nehmen?«
    Es war mir nicht aufgefallen. Ich merkte es mir.
    »Na ja, jedenfalls war ich im Sommer in Duluth und da habe ich Sam mit seinen Eltern gesehen. Mann, das hört sich echt krank an, oder? Aber so war es gar nicht. Jen und ich redeten die ganze Zeit davon, dass wir irgendwann Kinder haben wollten, obwohl wir beide wussten, dass es nie dazu kommen würde. Verdammt, sie hatte damals noch acht Monate zu leben, wie hätte sie da ein Kind kriegen sollen? Jedenfalls habe ich da Sam gesehen. Mit seinen gelben Augen, fast wie ein richtiger Wolf, und ich war total besessen von meiner Idee. Du brauchst es mir nicht zu sagen, Grace, ich weiß, dass es falsch war - aber als ich ihn da so sah mit seinen stumpfen Eltern, naiv wie ein Paar dumme Tauben, da dachte ich, ich wäre besser für ihn. Ich könnte ihm mehr beibringen.«
    Ich sagte nichts und Beck stützte wieder die Stirn auf seine Hand. Seine Stimme wirkte jahrhundertealt. Ich sagte nichts, doch er stöhnte. »Oh Gott, ich weiß, Grace, ich weiß. Aber weißt du, was das Absurdeste ist? Mir gefällt mein Leben. Ich meine, zuerst natürlich nicht. Es war ein Fluch. Aber bald war ich einfach nur wie jemand, der Sommer und Winter gleichermaßen liebt. Ergibt das vielleicht irgendeinen Sinn? Ich wusste, dass ich mich irgendwann selbst verlieren würde, aber das habe ich schon vor langer Zeit akzeptiert. Und ich dachte, Sam würde sich auch daran gewöhnen.«
    In einem winzigen Schränkchen über der Kaffeemaschine fand ich Tassen und nahm zwei heraus. »Hat er aber nicht. Milch?«
    »Ein bisschen. Nicht zu viel.« Er seufzte. »Für ihn ist es die Hölle.
    Ich habe ihm seine ganz persönliche Hölle geschaffen. Er braucht dieses menschliche Bewusstsein, und wenn er das verliert und zum Wolf wird ... dann ist das die Hölle für ihn. Er ist der beste Mensch, den ich je getroffen habe, und ich habe ihn vollkommen zerstört. Und das bereue ich seit Jahren, jeden einzelnen Tag.«
    Vielleicht hätte er es verdient gehabt, aber ich konnte nicht zulassen, dass er sich noch mehr erniedrigte. Ich brachte ihm eine Tasse und setzte mich wieder zu ihm. »Er liebt dich, Beck. Er hasst es vielleicht, ein Wolf zu sein, aber dich liebt er. Und - ich muss es dir einfach sagen - es macht mich fertig, hier mit dir zu sitzen, weil alles an dir mich so sehr an ihn erinnert. Wenn du ihn bewunderst, dann nur, weil du ihn zu dem gemacht hast, der er ist.«
    Beck wirkte plötzlich seltsam verletzlich, wie er die Hände um die Kaffeetasse geklammert hielt und mich durch den Dampf, der darüber aufstieg, ansah. Er schwieg eine ganze Weile, dann sagte er: »Die Schuldgefühle sind das Einzige, was ich wirklich vergessen möchte.«
    Ich runzelte die Stirn. Nippte an meinem Kaffee. »Vergisst man alles?«
    »Eigentlich vergisst man gar nichts. Man sieht die Welt nur anders. Mit den Augen eines Wolfes eben. Manches wird vollkommen unwichtig, wenn man ein Wolf ist. Und dann gibt es Gefühle, die ein Wolf einfach nicht empfindet. Die verlieren wir. Aber die wichtigsten Dinge, an die können wir uns erinnern. Die meisten von uns zumindest.«
    Wie Liebe. Ich dachte daran, wie Sam mich beobachtet hatte, bevor wir uns als Menschen begegnet waren, und ich ihn. Wie wir uns ineinander verliebt hatten, so unmöglich das auch erscheinen mochte. Etwas in mir zog sich schmerzhaft zusammen und einen Augenblick lang konnte ich nicht sprechen.
    »Du wurdest gebissen«, redete Beck weiter. Das hatte ich doch schon mal gehört, diese Frage ohne Fragezeichen.
    Ich nickte. »Vor ein bisschen mehr als sechs Jahren.«
    »Aber du hast dich nie verwandelt.«
    Ich erzählte ihm, wie ich im Auto eingeschlossen worden war, und dann von dem möglichen Heilmittel, das Isabel

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