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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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und unbewohnt.
    Koenig klang misstrauisch. »Möchten Sie, dass ich -«
    »Von hier aus schaff ich es allein. Danke.«
    Er zögerte, bis ich ein paar Schritte in den Garten machte, dann hörte ich, wie er in den Wald zurückstapfte. Einen Augenblick lang blieb ich im stillen Halbdunkel stehen und lauschte dem Wind, der die fernen Stimmen aus dem Wald zu mir herübertrug und durch die trockenen Blätter an den Bäumen über mir fuhr.
    Und als ich so dastand in der vermeintlichen Stille, hörte ich plötzlich Geräusche, die ich nie zuvor wahrgenommen hatte. Das Rascheln von Tieren im Wald, unter deren Pfoten das Laub knirschte. Das entfernte Brummen der Lastwagen auf dem Highway.
    Schnelle, flache Atemzüge.
    Ich erstarrte und hielt den Atem an.
    Doch das unregelmäßige Geräusch blieb.
    Ich ging den Lauten nach und stieg vorsichtig auf die Veranda. Ich erschauderte beim Knarzen jeder einzelnen Stufe unter mir.
    Ich roch ihn, noch bevor ich ihn sehen konnte. Mein Herz schien einen Schlag auszusetzen, nur um gleich darauf wie wild weiterzuhämmern. Mein Wolf. Dann erfasste mich der Bewegungsmelder über der Schiebetür und einen Augenblick später war die Veranda in grelles gelbes Licht getaucht. Da war er - halb sitzend, halb liegend lehnte er an der Glastür.
    Mir stockte der Atem, als ich mich ihm zögernd näherte. Sein glänzender Pelz war verschwunden, er war nackt. Aber ich wusste, dass es mein Wolf war, noch bevor er die Augen aufschlug. Diese gelben Augen, die ich so gut kannte, öffneten sich, als er mich näher kommen hörte, doch er regte sich nicht. Er war rot verschmiert, vom Ohr den Hals hinunter bis zu den erschreckend menschlichen Schultern - wie eine tödliche Kriegsbemalung.
    Ich kann nicht sagen, woran ich ihn erkannte, aber ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er es war.
    Werwölfe gab es nicht.
    Ich hatte zwar Olivia von der Begegnung mit Jack erzählt, aber in Wirklichkeit hatte ich selbst nie richtig daran geglaubt. Nicht so.
    Ein Luftzug wehte noch einmal seinen Geruch zu mir herüber; das holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Blut. Ich verschwendete kostbare Zeit.
    Ich zog meine Schlüssel aus der Tasche und beugte mich über ihn, um die Verandatür aufzustoßen. Zu spät bemerkte ich, wie er die Hand ausstreckte, ins Leere griff und dann gegen die offene Tür und mit ihr ins Haus krachte. Dabei hinterließ er rote Spuren auf dem Glas.
    »Tut mir leid!«, sagte ich. Ich wusste nicht, ob er mich gehört hatte. Eilig stieg ich über ihn hinweg. Ich lief in die Küche und schlug dabei auf jeden Lichtschalter, an dem ich vorbeikam. Dann riss ich einen Haufen Geschirrtücher aus dem Schrank. Aus dem Augenwinkel sah ich Dads Autoschlüssel auf der Theke liegen, er hatte sie achtlos neben einen Stapel Papierkram geworfen. Ich konnte also Dads Auto nehmen, wenn es sein musste.
    Ich stürzte zurück zur Hintertür und befürchtete fast, der Junge könnte verschwunden sein, während ich ihm kurz den Rücken zugekehrt hatte - nur ein Produkt meiner Fantasie aber er hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Heftig zitternd lag er immer noch halb im Haus und halb auf der Veranda.
    Ohne nachzudenken, packte ich ihn unter den Achseln und zog ihn so weit ins Haus, dass ich die Tür schließen konnte. Im Licht unseres Esszimmers, über dessen Boden sich nun eine blutige Spur zog, wirkte er entsetzlich real.
    Schnell hockte ich mich neben ihn. Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Was ist passiert?« Ich kannte die Antwort, aber ich wollte ihn sprechen hören.
    Er hielt eine Hand an seinen Hals gedrückt, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Zwischen seinen Fingern rann es rot und glänzend hervor. »Schuss.«
    Mein Magen zog sich vor Aufregung zusammen, nicht wegen dieses einen Wortes, sondern wegen seiner Stimme. Er war es. Kein Heulen, sondern menschliche Worte, aber die Klangfarbe war dieselbe. Er war es.
    »Lass mich mal sehen.«
    Ich musste seine Hände regelrecht von seinem Hals losbiegen. Es blutete so stark, dass ich die Wunde gar nicht sehen konnte, also drückte ich einfach eines der Geschirrtücher auf das glitschige Rot, das sich mittlerweile von seinem Kinn bis zum Schlüsselbein ausgebreitet hatte. Das überstieg meine Erste-Hilfe-Kenntnisse ganz entschieden. »Halt das fest.«
    Sein Blick flackerte zu mir herüber, immer noch vertraut, und doch hatte sich etwas darin verändert. Neben all dem Wilden lag nun auch eine Klarheit darin, die ich nie zuvor gesehen

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