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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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auch bei sich zu Hause gewesen war, und fuhr daher zum Anwesen der Culpepers hinüber. Wo sie wohnten, war nicht gerade ein Geheimnis; jeder kannte die riesige Villa im gotischen Stil, die man schon vom Highway aus erspähen konnte. Die einzige Villa überhaupt in Mercy Falls. Ich war mir zwar ziemlich sicher, dass um diese Zeit niemand zu Hause war, aber zur Sicherheit parkte ich den Bronco eine halbe Meile weit weg und nahm zu Fuß eine Abkürzung durch den Kiefernwald.
    Genau wie ich gedacht hatte, war das Haus, das wie eine gewaltige Märchenburg über mir aufragte, leer. Als ich jedoch ein wenig an der Tür herumschnüffelte, stieg mir der unverkennbare Wolfsgeruch in die Nase.
    Ob er schon im Haus gewesen war oder sich, wie ich, erst hergetraut hatte, als niemand da war, und dann wieder im Wald verschwunden war, konnte ich nicht sagen. Als mir einfiel, wie verwundbar ich als Mensch war, fuhr ich herum und schnüffelte in die Luft, untersuchte die Kiefern ringsum auf Lebenszeichen. Nichts. Oder zumindest nichts, was nah genug war, als dass ich es mit meinen menschlichen Sinnen hätte erkennen können.
    Der Gründlichkeit halber brach ich dann ins Haus ein, um nachzusehen, ob Jack dort war und sie ihn vielleicht schon in ein Extraverlies für Monster gesperrt hatten. Besonders verstohlen ging ich dabei nicht vor; ich schlug einfach eine Scheibe in der Hintertür mit einem Ziegelstein ein und griff durch das scharfkantige Loch, um den Knauf von innen aufzudrehen.
    Im Haus versuchte ich, die Fährte wieder aufzunehmen. Es roch zwar nach Wolf, aber der Geruch war schwach und wirkte abgestanden. Warum Jack so riechen sollte, wusste ich nicht, folgte dem Geruch aber dennoch durchs Haus. Mein Weg führte mich zu einer wuchtigen Eichentür, und ich war mir sicher, dass die Spur auf der anderen Seite endete.
    Vorsichtig stieß ich sie auf und sog scharf die Luft ein.
    Vor mir lag eine große Eingangshalle voller Tiere. Voller ausgestopfter Tiere. Und nicht die von der niedlichen, kuscheligen Sorte. Der dämmrige Raum mit der hohen Decke verbreitete die Atmosphäre eines Museums - Die Tiere Nordamerikas - oder einer Art Schrein zu Ehren des Todes. In meinem Kopf fischte ich nach Songschnipseln, konnte ihm jedoch nur eine Zeile entreißen: We bear the grins of the smiling dead.
    Mir lief ein Schauer über den Rücken.
    Im Dämmerlicht, das durch die runden Fenster weit über meinem Kopf hereinsickerte, schien es, als wären hier genügend Tiere versammelt, um die Arche Noah zu bevölkern. Da stand ein stocksteifer Fuchs mit einer ausgestopften Wachtel in der Schnauze. Und hier ein Schwarzbär, der sich mit gespreizten Klauen vor mir aufbaute. Ein Luchs, der auf ewig über einen Baumstamm schlich. Und ein Eisbär, bei dem sogar der ausgestopfte Fisch in den Tatzen nicht fehlte. Konnte man Fische ausstopfen? Darüber hatte ich noch nie nachgedacht.
    Und dann, inmitten eines Rudels von Hirschen und Rehen in allen möglichen Formen und Größen, entdeckte ich, woher vorhin der Geruch gekommen war: Ein Wolf starrte mich über die Schulter hinweg an, die Zähne gefletscht, die Glasaugen bedrohlich glänzend. Ich ging auf ihn zu, streckte die Hand aus, um sein schütteres Fell anzufassen. Unter meinen Fingern blühte der schale Geruch auf, vertraute meiner Nase Geheimnisse an, und ich erkannte den einzigartigen Duft meines Waldes. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, ich bekam eine Gänsehaut und trat einen Schritt zurück. Einer von uns. Vielleicht auch nicht. Vielleicht war es nur ein Wolf. Nur hatte ich noch nie einen normalen Wolf in unserem Wald gesehen.
    »Wer warst du?«, flüsterte ich. Doch das Einzige, was die zwei Formen eines Werwolfs gemeinsam hatten - die Augen -, war schon vor langer Zeit zugunsten eines Paares aus Glas herausgeschnitten worden. Ich fragte mich, ob Derek, den die Kugeln an dem Abend, als ich angeschossen worden war, förmlich durchsiebt hatten, sich bald zu diesem Wolf inmitten seiner makabren Menagerie gesellen würde. Bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen um.
    Noch einmal sah ich mich in der Halle um und zog mich zur Vordertür zurück. Jeder kleine Teil von mir, der noch Tier war, schrie mir zu, die Flucht zu ergreifen vor diesem dumpfen Geruch nach Tod, der die Halle erfüllte. Jack war nicht hier. Ich hatte keinen Grund zu bleiben.

  Kapitel 23 - Grace (11°C)
    G uten Morgen.« Dad sah kurz hoch, als er sich Kaffee in einen Thermosbecher goss. Für einen Samstag war er ziemlich

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