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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Grace' Augen so zum Strahlen?
    Und wenn das gar nicht ich war? Was, wenn sie einen anderen Wolf liebte und nur dachte, das wäre ich? Woher sollte ich das wissen?
    Grace, die von meinen Zweifeln ja nichts mitbekam, hielt mein Schweigen für Faszination. Sie stand aus dem Schneidersitz auf, sah mich an und fuhr mir dann mit der Hand durchs Haar. Dann hob sie die Hand an die Nase und atmete tief ein. »Weißt du, du riechst noch genauso wie als Wolf.«
    Und damit hatte sie, einfach so, das vielleicht Einzige gesagt, wodurch es mir besser ging. Ich gab ihr das Foto, als sie in Richtung Tür ging.
    In der Tür blieb Grace stehen, ein schwacher Umriss im trüben grauen Morgenlicht, und drehte sich zu mir um. Sie sah mich -meine Augen, meinen Mund, meine Hände - auf eine Art an, dass sich etwas in mir verknotete und dann wieder löste. Es war kaum auszuhalten.
    Ich glaubte nicht, dass ich zu ihr in diese Welt gehörte, ich, ein Junge, der zwischen zwei Leben festhing und die Gefahren der Wölfe immer mit sich trug. Doch als sie meinen Namen rief und wartete, dass ich ihr folgte, da wusste ich, dass ich alles tun würde, um bei ihr bleiben zu dürfen.

  Kapitel 22 - Sam (17°C)
    N achdem ich Grace an der Schule abgesetzt hatte, vertrödelte ich eine Ewigkeit auf dem Schulhof. Ich war wütend über Jack, wütend über den Regen und wütend über die Einschränkungen meines menschlichen Körpers. Dass ein Wolf hier gewesen war, konnte ich riechen - nur eine schwache, herbe Spur von Wolfsgeruch -, aber wohin er gegangen war oder auch nur ob es sich wirklich um Jack handelte, konnte ich nicht sagen. Es war, als wäre ich blind.
    Schließlich ließ ich es gut sein und gab, nachdem ich ein paar Minuten im Auto gesessen hatte, dem Drang nach, zu Becks Haus zu fahren. Ich wusste nicht, welches der richtige Ausgangspunkt sein könnte, um nach Jack zu suchen, aber der Wald hinter dem Haus war zumindest ein Ort, an dem logischerweise oft Wölfe zu finden waren. Also fuhr ich dorthin zurück, wo ich früher immer den Sommer verbracht hatte.
    Ich hatte keine Ahnung, ob Beck in diesem Jahr überhaupt zum Menschen geworden war; ich konnte mich ja noch nicht einmal genau an meinen eigenen Sommer erinnern. Die Erinnerungen flossen ineinander, bis eine Collage aus Jahreszeiten und Düften entstand, deren Herkunft sich nicht mehr ergründen ließ.
    Beck verwandelte sich schon viel länger als ich, daher kam es mir unwahrscheinlich vor, dass er dieses Jahr zum Menschen geworden war und ich nicht. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass ich überhaupt zu wenige Jahre gehabt hatte, in denen ich mich verwandelte. So lange war ich doch noch gar kein Wolf. Wo waren meine Sommer geblieben?
    Ich wollte Beck sehen. Ich wollte seinen Rat. Ich wollte wissen, warum der Schuss mich zum Menschen gemacht hatte. Ich wollte wissen, wie viel Zeit mir mit Grace blieb. Ich wollte wissen, ob das hier das Ende war.
    »Du bist der Beste von allen«, hatte er mir einmal gesagt, und ich wusste noch, wie sein Gesicht dabei ausgesehen hatte. Kantig, vertrauenswürdig, zuverlässig. Ein Anker auf rauer See. Damals hatte ich verstanden, was er meinte: der Menschlichste im ganzen Rudel. Das war gewesen, nachdem sie Grace von der Schaukel gezerrt hatten.
    Doch als ich vor dem Haus hielt, lag es noch immer leer und dunkel da und meine Hoffnungen lösten sich in nichts auf. Mir wurde klar, dass sich die anderen alle schon für den Winter verwandelt haben mussten; es waren nicht mehr viele junge Wölfe übrig. Außer Jack natürlich. Der Briefkasten quoll über vor Umschlägen und Benachrichtigungen, dass in der Geschäftsstelle noch mehr Post auf Beck wartete. Ich nahm alles heraus und legte es in Grace' Auto. Ich hatte zwar den Schlüssel zu seinem Postfach, aber das wollte ich erst später erledigen.
    Ich weigerte mich einfach zu glauben, dass ich Beck nie wiedersehen würde.
    Dann blieb aber immer noch das Problem, dass, wenn Beck nicht da war, auch niemand Jack in sein Wolfsdasein eingewiesen hatte. Und es musste ihn dringend jemand von der Schule und überhaupt von der Zivilisation fernhalten, bis er damit aufhörte, sich unvermittelt hin- und herzuverwandeln, wie es neue Wölfe nun mal taten. Sein Tod hatte dem Rudel schon genügend Schaden zugefügt. Ich konnte nicht zulassen, dass er uns der Öffentlichkeit preisgab, indem er sich entweder vor aller Augen verwandelte oder jemanden biss.
    Da Jack der Schule bereits einen Besuch abgestattet hatte, nahm ich an, dass er

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