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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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und lauschte dem Pochen seines Herzens. Es klang so normal - wie das Herz eines ganz gewöhnlichen Menschen. Er war jetzt schon so lange ein Mensch, dass ich kaum noch den schwachen Waldduft an ihm riechen konnte und mich nur noch undeutlich daran erinnerte, wie es sich angefühlt hatte, meine Finger in seinem Pelz zu vergraben. Sam stellte die Aliens wieder auf laut, und wir blieben eine Weile so sitzen, ein und dasselbe Wesen in zwei Körpern, bis wir vergessen hatten, was mich so durcheinandergebracht hatte, und ich wieder ich selbst war.
    »Ich wünschte, ich hätte das, was du hast«, flüsterte ich.
    »Was hab ich denn?«
    »Dein Rudel. Beck. Ulrik. Wenn du von ihnen erzählst, hört man, wie wichtig sie dir sind. Sie haben dich zu dem gemacht, der du bist.« Ich stieß ihm meinen Zeigefinger in die Brust. »Sie sind toll, also bist du auch toll.«
    Sam schloss die Augen. »Da bin ich mir nicht so sicher.« Er schlug die Augen wieder auf. »Außerdem haben deine Eltern dich auch zu dem gemacht, was du bist. Glaubst du, du wärst genauso selbstständig, wenn sie sich mehr um dich gekümmert hätten? Du bist wenigstens jemand, wenn sie nicht da sind. Ich habe das Gefühl, ich bin nicht mehr so wie früher. Eben weil das Zusammensein mit Beck und Ulrik und den anderen einen so großen Teil von mir ausgemacht hat.«
    Ich hörte, wie ein Auto in unsere Auffahrt bog, und setzte mich auf. Ich wusste, dass Sam es auch gehört hatte. »Zeit zu verschwinden«, sagte er.
    Aber ich hielt ihn am Arm fest. »Ich hab diese Geheimnistuerei satt. Ich finde, es wird Zeit, dass du sie kennenlernst.«
    Er widersprach nicht, warf aber einen besorgten Blick in Richtung Haustür.
    »Tja, dann gibt es wohl kein Entrinnen«, sagte er.
    »Jetzt tu nicht so dramatisch. Sie werden dich schon nicht umbringen.«
    Er sah mich an.
    Ich wurde feuerrot. »Sam, ich meinte nicht - oh Mann, tut mir leid.« Ich wollte meinen Blick von seinem Gesicht losreißen, aber ich konnte es nicht, es war wie bei einem Autounfall. Ich wartete auf den Aufprall, aber sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Es schien, als funktionierte in seinem Gehirn die Kommunikation zwischen der Erinnerung an seine Eltern und seinen Gefühlen nicht, ein winziger Funktionsfehler, der ihn jedoch vor dem Zusammenbruch bewahrte.
    Sam rettete mich, indem er das Thema wechselte, und das rechnete ich ihm hoch an. »Soll ich den netten Schwiegersohn spielen oder sind wir nur Freunde?«
    »Mein Freund. Ich will ihnen nichts vorspielen.«
    Sam rückte ein paar Zentimeter von mir weg, zog seinen Arm hinter meinem Kopf hervor und ließ ihn locker auf der Rückenlehne des Sofas liegen. Dann sagte er zur Wand: »Hallo, Eltern von Grace. Ich bin Grace' Freund. Bitte beachten Sie den züchtigen Abstand zwischen uns. Ich bin äußerst verantwortungsvoll und hatte bestimmt noch nie die Zunge im Hals Ihrer Tochter.«
    Mit einem Klacken öffnete sich die Tür und wir fuhren beide mit einem nervösen Lachen zusammen.
    »Bist du das, Grace?«, ertönte Moms fröhliche Stimme aus dem Flur. »Oder sind Sie ein Einbrecher?«
    »Einbrecher«, rief ich zurück.
    »Ich mach mir gleich in die Hose«, flüsterte Sam mir ins Ohr.
    »Bist du sicher, dass du das bist, Grace?« Mom klang misstrauisch, sie war es nicht gewohnt, mich lachen zu hören. »Ist Rachel bei dir?«
    Dad erschien als Erster in der Wohnzimmertür und blieb abrupt stehen, als er Sam sah.
    Kaum merklich drehte Sam den Kopf zur Seite, sodass das Licht nicht auf seine gelben Augen fiel, ein Reflex, der mir zum ersten Mal deutlich machte, dass Sam schon eine Kuriosität gewesen war, bevor er angefangen hatte, sich in einen Wolf zu verwandeln.
    Dad stand einfach nur da und sah Sam an. Sam erwiderte seinen Blick, angespannt, aber nicht eingeschüchtert. Würde er wohl genauso ruhig dasitzen, wenn er wüsste, dass Dad einer der Jäger im Wald gewesen war? Plötzlich schämte ich mich für meinen Vater, ein Mensch mehr, vor dem sich die Wölfe fürchten mussten. Zum Glück hatte ich Sam nichts davon erzählt.
    Meine Stimme klang gepresst. »Dad, das ist Sam. Sam, das ist mein Dad.«
    Dad sah ihn noch eine halbe Sekunde länger an und grinste dann breit. »Bitte sag, dass du ihr Freund bist.«
    Sams Augen wurden kreisrund und ich atmete erleichtert aus.
    »Ja, er ist mein Freund, Dad.«
    »Das ist ja schön. Ich hatte schon befürchtet, du würdest dich für so was gar nicht interessieren.«
    »Dad.«
    »Was ist denn da los?« Moms Stimme klang

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