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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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messerscharfe Hundezähne, die über mein Schlüsselbein kratzten.
    »Beck!«, schrie ich. Es war so unglaublich schwer zu denken bei all dem Schmerz und mit Paul, der vor meinen Augen starb. Und doch erinnerte ich mich an den kleinen Terrier - schnell, brutal, tödlich. Ich schob eine Hand nach vorn zu dem Hund, der Pauls Hals in seinen grässlichen Fängen hielt. Ich griff nach dem Vorderbein, fand das Gelenk und dachte nicht an all das Blut. Ich dachte nicht an das Geräusch, das es machen würde. Ich dachte an nichts anderes als an die Durchführung. Mechanisch.
    Krack.
    Der Hund rollte wild mit den Augen. Er fiepte durch die Nase, aber er ließ nicht los.
    Mein Überlebensinstinkt schrie mir zu, das andere Tier von mir abzuschütteln; es zerrte und riss an meiner Schulter, mit Kiefern, die sich glühend heiß und hart wie Eisen anfühlten. Ich glaubte, Knochen splittern zu spüren. Ich glaubte, der Arm würde mir vom Körper gerissen. Aber Paul brauchte Hilfe.
    Meinen rechten Arm spürte ich kaum noch, also tastete ich mit der linken Hand, bis ich meinte, eine Hundekehle zu fühlen. Ich drückte zu und würgte das Monster, bis ich es nach Luft ringen hörte. Ich war der kleine Terrier. Der Griff des Hundes um Pauls Hals schien eisern, aber meiner war es auch. Ich zog meine taube rechte Hand unter dem anderen Hund hervor, der sich noch immer in meine Schulter verbissen hatte, und griff nach seiner Schnauze; dann drückte ich ihm die Nasenlöcher zu. Ich dachte an gar nichts mehr - meine Gedanken waren weit weg, zu Hause, im Warmen, wo ich Musik hörte, ein Gedicht las, ich war überall, nur nicht hier in diesem Todeskampf.
    Eine schreckliche Minute lang geschah gar nichts. Blitze zuckten vor meinen Augen. Dann sackte der Hund zu Boden und Paul rutschte aus seinen Fängen. Überall war Blut - meins, Pauls und das des Hundes.
    »Nicht loslassen!« Das war Becks Stimme und nun hörte ich das gedämpfte Rascheln von Schritten im Wald. »Nicht loslassen - er ist noch nicht tot!«
    Ich spürte meine Hände nicht mehr - spürte gar nichts mehr -, aber ich glaube, ich hielt noch immer die Kehle des Hundes umklammert, der Paul gebissen hatte. Dann ging ein Ruck durch den Hund, der die Zähne in meiner Schulter vergraben hatte. Ein Wolf, es war Ulrik, knurrte, schnappte nach seiner Kehle, zerrte ihn von mir herunter. Ich hörte einen Knall und mir wurde klar, dass das ein Schuss gewesen war. Noch ein Knall, diesmal viel näher, und ein Ruck zwischen meinen Fingern. Ulrik wich keuchend zurück und dann war es so still, dass mir die Ohren dröhnten.
    Behutsam löste Beck meine Hände vom Hals des toten Hundes und drückte sie stattdessen an meine Schulter. Der Blutstrom ließ ein wenig nach; sofort fühlte ich mich ein bisschen besser und mein unglaublicher, geschundener Körper begann zu heilen.
    Beck kniete sich vor mich. Er zitterte vor Kälte, seine Haut war grau, die Schultern unnatürlich gekrümmt. »Du hattest recht. Du hast ihn gerettet. Diese armen verdammten Hühner sind nicht umsonst krepiert.«
    Hinter ihm stand Shelby, stumm, mit verschränkten Armen, und sah Paul an, der keuchend im trockenen, toten Laub lag. Und sie sah Beck und mich an, wie wir die Köpfe zusammensteckten. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt und an einer hatte sie einen großen pudrig-schwarzen Schmierfleck.
    Jetzt, in der sanften Dunkelheit von Grace' Zimmer, drehte ich mich wieder zu ihr um und vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter. Seltsam, dass ich die grausamsten Momente meines Lebens als Mensch erlebt hatte und nicht als Wolf.
    Draußen hörte ich noch immer das Kratzen von Krallen auf dem Holzboden der Veranda. Ich schloss die Augen und versuchte mich auf das Klopfen von Grace' Herz zu konzentrieren.
    Der Blutgeschmack in meinem Mund erinnerte mich an den Winter.
    Ich wusste, dass Shelby die Hunde freigelassen hatte.
    Sie wollte mich an der Spitze sehen und sich selbst an meiner Seite. Aber Paul war ihr im Weg.
    Und jetzt war es Grace.

  Kapitel 34 - Grace (9°C)
    D ie Tage verschwammen zu einer Collage von alltäglichen Dingen: der Gang über den Schulparkplatz in der morgendlichen Kälte, Olivias leerer Platz in der Klasse, Sams Atem an meinem Ohr, die Pfotenabdrücke im frostüberzogenen Gras in unserem Garten.
    Als das Wochenende kam, fühlte ich mich ganz ausgelaugt vom Warten, obwohl ich noch nicht einmal wusste, worauf ich wartete. Sam hatte sich in der Nacht zuvor, von einem Albtraum geplagt, ununterbrochen von einer

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