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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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einschätzen, ob sie nach Norden oder nach Süden fuhren. Oder nach Osten oder Westen. In seiner Panik drückte er den Kopf auf das Lenkrad und gegen die Scheibe der Fahrertür. Er zerrte an seinem Bart und an seinem Haar. Er schlug sich gegen die Brust und rauchte und rauchte und fühlte sich schrecklich einsam. Einmal, als Charlie für einen Moment anhielt, ließ er seinen Kopf auf das Lenkrad sinken und begann zu weinen. Wünschte sich sehnlichst, er hätte ein besseres Leben geführt, damit er jetzt an die Vorsehung glauben konnte, und beinahe glaubte er, eine Antwort zu hören. Er hatte erwartet, dass irgendwann die Flaute kam, damit ihre Fahrt weniger beschwerlich war, aber die Flaute ließ auf sich warten. So etwas gab es offenbar gar nicht mehr.
    Mariposa hatte ihm erzählt, dass er sie in ihren Träumen verlassen hatte und nicht mehr zurückgekommen war. Er hatte diesen Gedanken zurückgewiesen, als sie in dem Zimmer im Trocknen waren, doch nun spürte er, dass es durchaus möglich war. Er dachte an Evan und Brisco und die schwierige Situation, in der er sie zurückgelassen hatte. Er fragte sich, wie lange es wohl dauerte, bis die Jungs in ihrer Verzweiflung etwas unternahmen, oder ob es vielleicht schon so weit war. Er dachte daran, dass er sie in den schwarzen Geländewagen zu den Frauen und dem Baby hätte setzen sollen. Aber in jenem Moment war ihm der Gedanke überhaupt nicht gekommen.
    Er wollte alles Mögliche wissen. Wie spät es war. Wo sie waren. Wie sehr der Sturm noch zunahm. Ob der Jeep noch dort war oder jemand ihn gefunden hatte, der die Riegel unter dem Rücksitz bemerkte, sie aufschob und den Sitz anhob, um den großen Gewinn einzustreichen. Würde diese Nacht überhaupt jemals enden? Würden sie fortgeweht? Würden sie ertrinken? Oder erschossen? Er hatte nichts als lauter Fragen.
    Er rauchte seine letzte Zigarette. Der nächtliche Sturm tobte weiter. Und sie quälten sich voran wie merkwürdige Wasserwesen, die sich trotz aller Widrigkeiten nach dem wilden Ozean sehnten. Eine weitere Stunde verstrich, in der Charlie zahlreiche Windungen fuhr. Eine weitere Stunde Fahrt ins Nichts. Um sie herum war das Land schwarz und überschwemmt, und sie fuhren auf einer Straße, die kaum breiter war als der Lastwagen. Die Bremslichter vor ihm leuchteten auf, der Laster hielt an, und Cohen wusste, dass sie wieder in einer Sackgasse angelangt waren. Die Warnblinkanlage ging an, und das war das Zeichen für Cohen, dass er aussteigen und nach vorn zum Truck gehen sollte, um zu beraten, wie es weitergehen sollte.
    Cohen arbeitete sich zum Führerhaus vor, zog mit aller Kraft die Tür auf, und Mariposa packte ihn und zog ihn herein. Er fiel auf ihren Schoß, richtete sich auf, und sie schob sich auf den mittleren Sitz zwischen den beiden Männern.
    »Ich hab dir gesagt, wir schaffen es«, sagte Charlie.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte Mariposa und legte ihre Hand auf seinen Arm.
    »Wir werden das niemals schaffen, Charlie«, sagte Cohen. Er rang nach Atem und setzte sich gerade hin. »Da draußen kann man ja kaum aufrecht stehen.«
    »Wir kriegen das schon hin«, sagte Charlie. In der einen Hand hielt er die Pistole, in der anderen seinen Flachmann.
    »Scheiße, hast du etwa die ganze Zeit getrunken?«
    »Die ganze Zeit«, sagte Mariposa.
    »Das ist doch alles total krank.«
    »Nein, ist es nicht«, sagte Charlie. »Wir nehmen einfach ein paar Schleichwege.«
    Eine scharfe Böe brachte den Laster zum Schwanken. Mariposa drückte Cohens Arm mit beiden Händen.
    »Wir müssen abwarten, dass dieser Wind sich legt«, sagte Cohen.
    Der Regen schlug gegen die Windschutzscheibe, vom Licht der Scheinwerfer war nicht viel zu sehen. Irgendwas krachte gegen die Seite des Lasters, und sie zuckten alle zusammen.
    »Wir müssen einfach nur da rüber, und dann läuft es wie von selbst«, sagte Charlie. »Ungefähr eine Meile weiter geht’s links ab und dann zwei oder drei Meilen bis zur 49.« Er deutete mit seinem Flachmann nach vorn. Am Ende des schwachen Lichtscheins war eine Brücke zu sehen, die von einem Fluss überflutet war. Das Wasser rauschte über sie hinweg, und die starke Strömung zerrte Baumstämme, Gestrüpp und Erdbrocken mit sich. Die Brüstung war gerade noch zu sehen, sie bog sich und zitterte in der Strömung, war beinahe schon abgerissen.
    »Niemals«, sagte Cohen. »Die Brücke ist schon fast weggeschwemmt. Man kann direkt zusehen.«
    »Die ist kaum noch zu sehen, aber sie steht noch da. Ich bin

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