Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
eine Stimme: »Das bringt dir überhaupt nichts.«
Evan ging von der Tür weg und zurück zum Bett. Er zog die Pistole heraus, setzte sich hin und lehnte sich gegen das Kopfende. Brisco drehte sich schlafend herum, murmelte etwas, wachte aber nicht auf. Evan behielt die Pistole im Schoß und schaute zur Tür.
45
Cohen hielt es nicht alleine aus. Nachdem er sich zurückgezogen hatte, nachdem er das geworden war, was er hatte werden wollen – ein Mann allein mit seinen Erinnerungen und Gespenstern –, nachdem er alles getan hatte, um allein zu sein und allein zu bleiben, hielt Cohen es nicht aus, allein zu sein, während er im Pick-up hinter Charlies Lastwagen herfuhr. Seit zwei Stunden fuhren sie nun zurück Richtung Küste, mitten im schweren Sturm, der an Stärke immer mehr zunahm, durch die endlose schwarze Nacht, während der Regen prasselte und der Wind peitschte und beide das Land peinigten, aber er dachte nur daran, wie einsam er war und wie weh es tat.
Während der Zeit, als er ganz allein lebte, hatte er über alles nachgedacht. Über sein Leben mit Elisa und die Anfangstage ihrer Beziehung, als er früh Feierabend machte, um sie abzuholen. Dann waren sie runter an die Küste gefahren, hatten Bier getrunken und darüber gesprochen, was sie tun wollten. Und bei Einbruch der Dunkelheit hatten sie einen Anleger gefunden, auf den sie sich setzen konnten, um etwas zu essen und Bier zu trinken. Wenn es dann ganz dunkel war, bevor sie nach Hause aufbrachen, suchten sie sich ein einsames Stück Strand, breiteten ihre Handtücher aus und legten sich nackt unter den Himmel. Wenn sie fertig waren, küssten sie sich, sagten einander Gute Nacht und freuten sich auf den nächsten Tag, wo sie das alles wieder tun wollten.
Er dachte an den positiven Schwangerschaftstest, den er wie eine Trophäe hochgehalten hatte und mit dem er im Wohnzimmer herumgetanzt war, während sie lachend rief, ich hab darauf gepisst, ich hab darauf gepisst. Aber er war einfach herumgetanzt, hatte sich um die eigene Achse gedreht und sich wie ein wilder Mann gebärdet. Er dachte an die vielen Gelegenheiten, wo sie hätten weggehen können. Er hätte das Haus verkaufen und sie dort wegbringen sollen. Das Land verkaufen und woanders neu anfangen. Wenn er das getan hätte, dann wäre sie jetzt noch am Leben, und er läge im Bett mit seiner Tochter und würde ihr eine Gutenachtgeschichte vorlesen, anstatt mitten in dieser unmöglichen Nacht über dieses unmögliche Land zu fahren.
Er dachte an den Mann, den er verbluten ließ, als er ihn um Gnade angebettelt hatte. Und er dachte daran, wie er den Bauch der schwangeren Frau aufgeschnitten hatte mit dem Messer, das sein Großvater ihm vermacht hatte. Und er dachte an die beiden, die er erschossen hatte, und er wusste, dass all das einen anderen Menschen aus ihm gemacht hatte. Er dachte an Aggie und seine schräge Philosophie, und er dachte daran, wie er im strömenden Regen versucht hatte, das Kinderzimmer zu bauen. Und er dachte an Habana und wo sie jetzt wohl sein mochte, und er dachte an den Schuhkarton und dass sein Inhalt inzwischen vielleicht überall in Gulfport verstreut war. Er dachte an Mariposa und was wohl in ihrem Kopf vorging, und dass er ihr keine Sicherheit bieten konnte, und fragte sich, ob das überhaupt noch eine Rolle spielte. Würde irgendetwas noch eine Rolle spielen, würden sie diese Nacht überleben? Er fuhr dicht hinter dem Lastwagen, und dass er allein war, quälte ihn. In diesen Stunden schien sein ganzes Leben noch einmal vor ihm abzulaufen, und er fragte sich, wie zum Teufel er in diesem Moment ausgerechnet an diesem Ort gelandet war. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Charlie führte ihn an Orte, wo er noch nie war, und Cohen fragte sich, ob er, wenn er wieder frei war, überhaupt jemals seinen Weg aus diesem Hurrikan zurückfinden würde. Ringsum stand das Wasser und überflutete die Straße, die Flüsse reichten bis zu den Brücken, und überall waren weite Wasserflächen, aber Charlie schien immer irgendwie einen Weg herum zu finden. Cohen rauchte ohne Unterlass. Die Lichter und Scheibenwischer des Pick-ups schienen für dieses Unwetter überhaupt nicht geeignet zu sein. Der Wind rüttelte den Lastwagen vor ihm hin und her, und manchmal hielt Charlie an und wartete. Dann ging es weiter, aber es kam Cohen völlig willkürlich vor, denn die Stärke von Wind und Regen ließ niemals nach.
Er hatte keine Ahnung, wo sie waren. Er konnte noch nicht mal
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