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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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kommandierte: »Los, weiter! Du kannst dich im Wagen ausweinen.«
    »Ich werd nicht weinen.«
    »Ganz bestimmt nicht hier.«
    »Ich weiß ja«, sagte sie, richtete sich auf und ging weiter, sogar schneller als vorher. Cohen folgte ihr. Ihre Kraft kehrte zurück, je näher sie kamen. Sie stapften durch die Pfützen und ließen sich von knietiefen Tümpeln nicht abschrecken. Sie hatten ein Ziel vor Augen, das trieb sie an.
    Als sie den Pick-up erreichten, half Cohen Mariposa auf den Beifahrersitz, ging um den Wagen herum und schob sich hinters Steuer. Sie saßen da und sanken erschöpft zusammen. Die Wirkung des Adrenalins verpuffte. Nur Hunger und Durst und Müdigkeit und Ekel waren noch da.
    Cohen sah sich seine Hände an. Die Haut war weich von dem vielen Wasser. Bei ihr war es das Gleiche. Mariposa starrte mit leerem Blick auf die Windschutzscheibe, ihre Arme hingen schlaff herab. Wasser lief in kleinen Rinnsalen von ihren Kleidern und an ihren Körpern entlang auf die Sitzbank oder über ihre Beine hinunter auf den Fußboden. Es sah aus, als ob sie schmelzen würden. Sie saßen da, das Wasser tropfte auf den Boden, und ihre Körper schienen nicht mehr fähig, sich zu bewegen. Sie konnten keinen klaren Gedanken fassen, es gab nur noch den Regen, den Donner und den Wind.
    Sie saßen da im ersten blassen Licht des beginnenden Tages. Cohen kam als Erster wieder zu sich. Er schob die Fahrertür auf, stieg aus und zog seine Jacke aus. Er warf sie auf die Rückbank und stieg wieder ein. Mariposa stand auf, beugte sich vor, und er half ihr, ebenfalls die Jacke auszuziehen, und ließ sie auf den Boden fallen. Sie kippte zur Seite und blieb auf der Sitzbank liegen, mit gefalteten Händen, als wollte sie beten, den Kopf darauf gebettet. Cohen lehnte sich gegen die Tür, den Kopf gegen das Fenster gelehnt. Kurz darauf waren beide eingeschlafen.
    Der Sturm hatte alles verwüstet, was von der Stadt noch übrig geblieben war. Die Schaufenster waren zerborsten, die Läden zerstört, die Vordächer hingen in den Bäumen oder hatten sich in einigen Fenstern der oberen Stockwerke verkeilt. Das Wasser lief nicht mehr ab, sondern hatte sich in einem großen Teich in der Mitte des großen Platzes gesammelt und schwappte auf die Gehsteige. Müll, Baumstämme, Schnapsflaschen, Kleider und tote Tiere schwammen darin. Das Wasser war in die Häuser eingedrungen, stand in den Erdgeschossen und stieg weiter an, weil es immer noch regnete.
    Evan und Brisco hatten den Sturm im Vorratsraum des Cafés überstanden, wo sie unter einem Stahltresen Schutz gesucht hatten. Big Jim hatte die ganze Zeit über vor der hinteren Wand im Café gesessen, das Gewehr dorthin gerichtet, wo die Fenster mal gewesen waren, und gewartet, dass sie kamen, wenn es für einen Moment ruhig wurde.
    Eine leichte Beruhigung trat ein, als der Tag anbrach. Der Wind wehte weiterhin stark, und der Regen fiel, aber davor hatte niemand Angst. Köpfe zeigten sich an den Fenstern, schauten aus Hintertüren, spähten um die Ecken der Seitenstraßen und stellten fest, dass man jetzt überall hineinkam. Bald schon drangen Gruppen von Leuten in die Häuser ein und schleppten alles raus, was sie tragen konnten. Möbel, Bilderrahmen, Toilettensitze und Kisten, die sie noch nicht mal aufgemacht hatten, um nachzuschauen, was drin war. Die Plünderungen gingen mit Triumphgeheul einher, als hätten sie unglaublich wertvolle Schätze gefunden, mit denen sie Großartiges erreichen konnten, dabei waren es nur Überreste eines normalen Lebens.
    Einige kamen mit Axtstielen oder Bettpfosten heraus, und wer derart bewaffnet war, schlug die Glasreste aus den Fenstern oder zerstörte die heil gebliebenen Scheiben. Türen wurden aufgebrochen, und Horden drangen in Gebäude ein, trampelten in die oberen Stockwerke und warfen Stühle und Tische aus den Fenstern. Anderes zerschlugen sie oder nahmen es mit oder stritten sich darum. Alle schienen aufgegeben zu haben, bis auf Big Jim, der mit seiner Flinte im Café saß und über ihre Köpfe schoss, wenn jemand auch nur einen Fuß in sein Lokal setzte.
    Aber dann änderte er seine Meinung. Er rief nach Evan, und die beiden Jungen kamen aus dem Vorratsraum.
    »Kommt mal hierher«, sagte er und winkte sie zu sich.
    Ein Mann mit einer blutigen Stirn spähte durch die Tür des Cafés. Big Jim schoss, und der Mann stürzte über den überschwemmten Gehsteig so eilig davon, dass das Wasser aufspritzte.
    »Mir reicht’s«, sagte Big Jim. »Sie können es haben.

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