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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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Wenn wir tun, was er sagt, wird er die Türen nicht abschließen, und irgendwann finden wir einen Ausweg, ganz bestimmt.«
    Aber es war ihr egal, was er sagte. Sie hörte gar nicht mehr zu, wandte sich ab, hatte die Schnauze voll von dieser Unterhaltung, die sie schon hundertmal geführt hatten. Sie ging in eine Ecke des Trailers, setzte sich auf den Boden und legte das Gesicht gegen die Knie. Sie kannte dieses Gefühl von Verzweiflung schon zur Genüge, aber jetzt schien es sich in etwas Neues zu verwandeln. Sie wusste nicht, was das war, aber sie hatte das Gefühl, ein Stück weit jenseits der Verzweiflung angekommen zu sein. Sie mochte die Gedanken nicht, die ihr durch den Kopf gingen, als sie sich vornahm, alles zu tun, was sie von diesem Ort wegbringen würde. Es machte ihr Angst, sich auszumalen, was das sein könnte.
    Bei einem Trailer gegenüber ging die Tür auf, und Joe trat heraus. Er trug eine karierte Jacke und schmutzige Stiefel. Seine langen Haare hatte er nach hinten gekämmt. Er ging zur Feuerstelle und schaute den Aschehaufen an. Seine Augen waren verquollen und rot. Er roch nach Whiskey und Zigaretten, hatte die Nacht hindurch getrunken, während der Sturm tobte. Die ganze Zeit saß er auf einer Kiste, mit einer Flasche in der einen Hand, während er mit der anderen sein Knie umfasste, bis es vorbei war. Nun rieb er sich die Hände, zog seine Jacke gerade, hustete nervös und beugte sich vor, um auszuspucken. Um ihn herum waren sämtliche Trailer versperrt, bis auf die beiden, die dem Jungen und dem Mädchen gehörten. Dabei hatte er Aggie gesagt, dass er es für keine gute Idee hielt, die beiden zu bevorzugen, egal, was sie geleistet hatten. Aber Aggie hatte nicht auf ihn gehört. Joe spürte einen dumpfen Schmerz im Kopf, streckte die Arme aus und drehte sich um die eigene Achse. Draußen auf dem Feld stand Aggie und ließ seinen Blick über das flache, überflutete Land gleiten. Über ihm kreiste ein Schwarm weißer Vögel, die immer wieder nach unten stießen und erneut aufstiegen. Ihr Auf- und Absteigen sah elegant aus, sie wirkten auf ihn wie hochkarätige Artisten, die trainiert worden waren, die Schönheit des Fliegens zu illustrieren. Aber Joe war mehr an Aggie interessiert als an den Vögeln. Aggie stand regungslos da, schaute sich die Gegend an, als wäre er zu Beton erstarrt, und schien den neuen Morgen zu genießen.
    Joe rieb sich die Augen. Für ihn war es ein Morgen wie jeder andere, nach einer stürmischen Nacht mit heftigen Niederschlägen. Alles, was er brauchte, um Aggies Seelenruhe zu erreichen, war eine Zigarette. Er griff in die Jackentasche und zog eine leere Packung hervor.
    Er seufzte und ging auf Aggie zu.
    Aggie rauchte und ließ seinen Blick über das geflutete Land schweifen. Er war überaus dankbar für das Unheil, das die Stürme über diese Welt gebracht hatten, und dafür, dass die Linie gezogen worden war. Nun konnte sich ein Mann wie er in diesem absolut gottverlassenen Land seine eigene Welt errichten, mit seinem eigenen Volk und seinen eigenen Regeln. Die Rache Gottes war über sie gekommen. Die einst zerbrochene und vergessene uralte Ordnung war wiederhergestellt. In manchen seiner eher egomanischen Momente glaubte er tatsächlich, dass dies alles nur für ihn geschehen war.
    In seiner Gesäßtasche steckte eine zerfledderte Bibel mit weichem Einband im Format eines Notizbuchs. Die Evangelien und Kapitel, die er nicht mochte, hatte er herausgerissen und die Stelle im sechsten Kapitel der Genesis markiert, wo die Geschichte von Noah begann. An seiner Gürtelschlaufe hing ein Ring mit Schlüsseln. Er schaute immer wieder nach allen Seiten, als wollte er sich das Bild, das sich ihm darbot, einprägen, falls er es später noch mal brauchte. Seine Haare waren dünn und klebten am Schädel, Altersflecken breiteten sich über seiner Stirn und an den Händen aus. In der Vordertasche seiner Hosen trug er einen Revolver, den jeder gut sehen konnte, und er hatte einen Parka an, den er einem Toten abgenommen hatte, der in einer überfluteten Sackgasse in Küstennähe getrieben war.
    Aggie drehte sich nicht um, als er die Schritte hörte. Er ließ seinen Blick weiter über das Land schweifen. Joe blieb neben ihm stehen. Einige Minuten lang standen sie schweigend nebeneinander. Der Regen störte sie nicht weiter.
    Schließlich zog Joe ein Feuerzeug aus der Hosentasche und schnippte mehrmals daran.
    Aggie reagierte zunächst nicht darauf, dann schob er eine Hand in die

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