Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
Vordertasche seines Parkas und holte eine Zigarettenpackung heraus. Joe nahm eine, nickte dankend und zündete sie an. Dann standen sie da und hielten ihre Zigaretten schützend unter die Jacken. Von oben fiel der Regen, vor ihnen lag die Wasserfläche, hinter ihnen ihr Königreich.
»Schätze, wir haben letzte Nacht nichts verloren«, sagte Joe.
Aggie zog an seiner Zigarette und schüttelte den Kopf.
»Wenn es uns letzte Nacht nicht erwischt hat, dann kann uns gar nichts passieren«, sagte Joe.
»Das sagst du jedes Mal.«
»Diese Seile sind wirklich verdammt stabil.«
Aggie drehte sich zu ihm. Er runzelte leicht die Stirn und sagte: »Unterschätze Gottes Zorn nicht. Wenn er die Trailer haben will, dann kriegt er sie auch.«
Joe rauchte und stieß frustriert den Rauch aus. Manchmal konnte man früh am Morgen mit Aggie einfach nichts anfangen. Dies schien so ein Tag zu sein. Er rieb sich den Nacken und versuchte, das schmerzhafte Pochen dort zu besänftigen. Dann hockte er sich hin und zupfte an den Gräsern.
»Lässt du sie heute raus?«, fragte er und starrte zu Boden.
»Später«, sagte Aggie.
Joe zog seine Zigarette unter der Jacke hervor und nahm einen Zug. »Gehen wir heute raus zum Arbeiten?«
»Wenn die beiden uns das Haus gezeigt haben.«
»Wir verschwenden damit aber nicht unsere Zeit, oder?«, fragte Joe. »Klingt so, als würde man nach einer Nadel im Heuhaufen suchen.«
Aggie schüttelte den Kopf. »Nein. Wir verschwenden unsere Zeit nicht. Und falls doch, ist das immer noch besser als gar nichts.«
»Ja, wahrscheinlich.«
Aggie wandte seinen Blick ab von den Vögeln und dem überfluteten Land und schaute Joe an. Er packte ihn an der Schulter: »Zweifle nicht an mir, Joe.«
Joe nickte.
»Dann komm jetzt«, sagte Aggie. »Hol die beiden, und dann hilfst du mir, den Hänger anzukoppeln. Der Kleine bleibt hier. Je früher wir zurück sind, umso besser. Ich geh schon mal los und schmeiß die Schaufeln und die Spitzhacke in den Pick-up da drüben.«
Er warf noch einen kurzen Blick auf das überflutete Gebiet und ging dann zurück zu den Trailern.
6
Cohen hatte nie jemanden gekannt, der in Venedig war. Oder Italien. Oder Europa. Als er Elisa gefragt hatte, was sie sich zu ihrem ersten Jahrestag wünschte, hatte er so was erwartet wie: Schenk mir eine Halskette. Oder einen Tag im Wellness-Center. Oder ein protziges Abendessen in einem der gehobeneren Casinos. Oder irgendwas anderes, aber nicht das, was sie dann sagte.
»Ich möchte nach Venedig.« Sie saßen auf der Veranda, es war später Nachmittag, die Abenddämmerung kündigte sich an. Er zog seine Arbeitsstiefel aus, lehnte sich in seinem Korbsessel zurück und nahm einen Schluck Bier. Sie war barfuß und saß im Schneidersitz auf dem Sessel. Ihre Arme, Beine und alles sonst waren von der Sommersonne gebräunt.
»Venedig, wo?«, fragte er.
»Venedig in Texas«, antwortete sie, schaute starr vor sich hin und wartete darauf, dass er einlenkte.
»Nie von gehört«, sagte er, und sie gab ihm einen Klaps auf den Arm.
»Du weißt ganz genau, was ich meine.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber wieso willst du denn auf einmal da rüber?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich hab’s im Fernsehen gesehen neulich. Sah hübsch aus mit den ganzen Kanälen und den alten Gebäuden, den Kirchen und so. Keine Autos weit und breit. Meinst du nicht, das wäre mal toll?«
Er runzelte die Stirn und dachte nach.
»Wie viel?«, fragte er. War ja klar, dass sie schon nachgeschaut hatte.
»Viel.«
»Richtig viel oder nur ziemlich viel?«
»Ziemlich viel.«
Er trank einen Schluck Bier. Die Grillen zirpten, die Frösche quakten, und ihr Singsang erfüllte die hereinbrechende Dämmerung.
»Na ja«, sagte er.
»Wahrscheinlich kriegen wir das Geld nicht bis zu unserem Jahrestag zusammen.«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Aber wir können es vielleicht bis zum Frühjahr zusammensparen. Das sind noch sechs Monate. Was meinst du?«
Er mochte den Klang ihrer Stimme in diesem Moment. Freudig erregt und ein bisschen nervös. Er selbst hatte nie an eine Reise nach Venedig gedacht, und der Gedanke, mit seiner Frau dorthin zu fahren, kam ihm vor wie ein romantisches Abenteuer aus einem Kitschroman.
»Ich denke, wir könnten uns das leisten. Wenn du gern möchtest«, sagte er.
Sie stand auf, setzte sich auf seinen Schoß und umarmte ihn so heftig, dass er kaum noch Luft bekam.
Als sie dort ankamen, hing eine dichte Wolkendecke über der Stadt. Die
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