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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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Kopf strich und ihm flüsternd befahl, ruhig zu sein. Sei still. Beweg dich nicht.
    Ganz langsam ließ er seine Hand über den Gürtel gleiten und griff nach dem Messer.
    »Sitz«, sagte er zu dem Hund, aber der blieb starr stehen. Sein Knurren verwandelte sich in lautes Winseln.
    »Ist ja gut«, flüsterte er. »Bleib ganz ruhig.«
    Habana kam zu ihnen und schnaubte, was den Hund so sehr erschreckte, dass er sich hinter Cohens Stuhl duckte.
    Die Augen waren immer noch da. Regungslos, als würden sie zu einem Baum gehören.
    Er erinnerte sich an die Geschichten, die sein Großvater und andere ältere Männer sich am Lagerfeuer am Rand der Bayous erzählten. Geschichten von Dingen, die sie gesehen hatten, Geschichten, von denen sie gehört hatten. Er versuchte sich zu erinnern, ob sie mal von einem Tier mit orangefarbenen Augen gesprochen hatten, aber die Stimmen in seinem Kopf erzählten nur atemberaubende Geschichten von Sumpfmonstern und namenlosen blutrünstigen Kreaturen, die nachts Kinder aus den Betten holten. Die Augen, die ihn von dort anstarrten, waren jedoch sehr real, und sie waren sehr nah, und sie schauten ihn aufmerksam und außergewöhnlich geduldig an.
    Das muss ein Panther sein, dachte er. Ein richtig großer Panther.
    Er knöpfte das Messeretui auf, zog das Messer heraus und fragte sich, wie man so ein Vieh wohl am günstigsten mit einem Messer zur Strecke brachte. Einen Panther, oder was auch immer das war. Dann lächelte er bitter. Was für ein absurder Gedanke.
    Cohen sah das Pferd an, als es erneut schnaubte. Dann schaute er wieder zu der Stelle zwischen den Bäumen, aber die orangefarbenen Augen waren verschwunden. Dort drüben war nichts, als hätte er sich alles nur eingebildet. Er atmete tief ein und war sich gar nicht bewusst, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Dann sagte er dem Hund, er solle sich entspannen. Fürs Erste. Er stand langsam auf, ging an der Seite der Kapelle entlang und rief den Hund und das Pferd zu sich. Heute Nacht würde er nicht neben dem Feuer schlafen können, nicht, wenn da draußen irgendwas herumschlich. Alle drei gingen sie durch eine Hintertür in den Raum, wo er die Chorhemden gefunden hatte. In einem Schrank lagen noch mehr. Im Dunkeln ertastete er einige davon und breitete sie auf dem Fußboden aus. Der Hund legte sich sofort darauf, aber er befahl ihm, wieder aufzustehen. Cohen griff sich noch eins, schlang es sich um den Leib, tastete sich an der Wand entlang zur Tür zurück und machte sie zu. Dann legte er sich auf die Hemden, und der Hund legte sich neben ihn. Habana blieb am Fenster stehen, die Nüstern dagegen gepresst, und ihr heißer Atem beschlug das Glas. Sie würden frieren, und es war unbequem. Aber wenigstens waren sie hier drin sicher. Und nun fing er wieder an, mit dem Hund zu reden.

10
    Seit der Proklamation der Linie kamen sie runter von den Bergen wie Meuten wilder Kojoten, die den Geruch von frischem Blut witterten. Manche machten ein Riesending draus, packten Bierkästen und Marihuana ein und drehten ihre Radios auf, um den Sturm zu übertönen. Sie tobten herum und brüllten wie die Irren und hatten auf jeden Fall eine Menge Spaß. Sie plünderten die Strände, drangen in verfallene Casinogebäude ein, begannen mit irgendwelchen Ausgrabungen, ohne einen Plan zu haben. Aber da sie kein Ziel hatten und sich nicht absprachen, wurden die Löcher nie besonders groß, und sie fanden nichts Besonderes, schon gar nicht den erhofften Koffer mit einer Million Dollar darin. Diese Schatzsucher blieben nie lange. Sie fuhren stunden-, wenn nicht tagelang, um an die Küste zu kommen, ohne zu ahnen, wie hart das Leben hier unten war, und sie verschwanden genauso schnell, wie sie gekommen waren, wenn jemand ein paar Warnschüsse abgab.
    Andere wiederum wussten besser Bescheid. Das waren die, die blieben. Sie kannten sich mit dem Wind aus, konnten nahende Unwetter erkennen, kannten verwüstete Stellen an der Küste, wo die Brücken weggeschwemmt worden waren, und wussten genau, wo massenweise Casinos nebeneinander gestanden hatten. Sie hatten sich genau gemerkt, welche noch da waren, und wenn sie nicht mehr da waren, dann wussten sie, wo sie gestanden hatten.
    Sie unterschieden sich von den anderen durch das Handwerkszeug, das sie dabeihatten. Die eindeutig Chancenlosen kamen zu viert oder fünft, hockten auf den Ladeflächen der Trucks, und jeder hatte eine Schaufel und eine Hacke dabei. Sie kannten die Gegend, waren mutig, hatten aber

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