Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
er das alles nur träumte.
Aber das Geräusch war da. Es kam aus der anderen Richtung. Wurde allmählich lauter. Er schaute die Straße entlang. Da unten war eine Kurve, und das Geräusch kam von dort, es klang wie der Motor eines Fahrzeugs, das er gut kannte. Ein tiefes, tuckerndes Geräusch, das lauter wurde, wenn man aufs Gaspedal trat, und abebbte, wenn man auskuppelte.
Er stand auf und verließ die Straße, warf sich in den Graben und behielt den Kopf nur so weit oben, dass er erkennen konnte, was da um die Kurve kam. Er wartete, erregt wie ein hungriges Tier. Und da war es.
»Bitte, Gott, steh mir bei«, flüsterte er.
Er war es wirklich. Der Jeep kam auf ihn zu, und er konnte erkennen, dass nur ein Fahrer darin saß.
Aber dann wurde er langsamer und hielt an.
Der Fahrer richtete sich auf und schaute sich um. Es war nicht der Junge, auch nicht das Mädchen. Cohen wartete, ob er sich weiter näherte, aber er wusste nicht, was er in diesem Fall tun sollte. Er schaute sich nach einem Stock um oder einem großen Stein oder etwas anderem, aber da war nichts außer nassem Gras und Gestrüpp. Er überlegte, ob er aufstehen und den Mann zu sich winken sollte. Dann konnte er versuchen, den Jeep zurückzuerobern, auf die gleiche Art, wie man ihn ihm weggenommen hatte. Aber er war nicht kräftig genug für einen Kampf. Er war zu nichts mehr in der Lage. Also blieb er liegen und wartete ab.
Der Jeep fuhr ein Stück weiter und bog dann in die Zufahrt zur Kapelle ein.
Cohen sprang aus dem Graben auf die Straße und rannte los. Es war das gebrechliche, taumelnde Voraneilen eines kranken und hungrigen Mannes. Er rannte bis zur Zufahrt und sah die Spuren des Jeeps im Matsch. Er beugte sich vor, stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab und rang nach Luft. Ihm war schwindelig.
Eine Weile blieb er so stehen, bis er wieder ruhiger atmete, und dann hörte er das Geräusch des Motors wieder. Der Jeep entfernte sich.
Er wollte das endlich wieder loswerden und zur Ruhe kommen. Die Botschaft auf dem Zettel machte ihn verrückt. Diese Nachricht, die seine Vergangenheit aufgerührt hatte und ihn an das burgunderfarbene Kleid seiner Mutter erinnerte und an seine alte Provinzkirche. Nach allem, was passiert war, dürfte eigentlich nichts mehr davon übrig sein. Irgendwelche Gründe, die er nicht verstand, hatten ihn dazu gebracht, diese Straße entlangzufahren. Zurück an diesen Ort. In eine Vergangenheit, die keine Verwüstung und Gesetzlosigkeit kannte.
Er fuhr dort entlang und dachte über Aggie nach. Wie er ihn zum ersten Mal gesehen hatte, als er vor dem Schnapsladen stand, Whiskey aus der Flasche trank und eine Zigarette rauchte. Er trug eine schwere Jacke, hatte die Kapuze über den Kopf gezogen, aber seine Augen wirkten sogar auf diese Entfernung stechend. Joe ging an ihm vorbei und warf ihm einen kurzen Blick zu. Das war das, was die meisten Leute zu diesem Zeitpunkt taten, nachdem die Küstengegend ein Ort der Verwüstung geworden war. Man warf sich kurze Blicke zu. Nur noch ein paar Schnapsläden, Striptease-Schuppen, die jetzt Bordelle waren, und einige Tankstellen waren nach wie vor geöffnet und beleuchtet. In wenigen Monaten sollte die Linie offiziell deklariert werden. Die Küstenratten hausten in den Überresten verlassener Gebäude und Büros. Niemand traute dem anderen. Überall war Zerstörung.
Joe betrat den Laden und kaufte sich eine Flasche. Als er wieder rauskam, war Aggie immer noch da. Beobachtete ihn. Joe ging zu seinem Truck und behielt den Mann mit der Kapuze im Auge.
Aggie warf seine Zigarette weg und sagte: »Hast du ’ne Anhängerkupplung an deinem Wagen?«
»Was hast du gesagt?«
»Eine Anhängerkupplung. Hast du eine an deinem Pick-up dran?«
»Ja, klar hab ich eine. Warum?«
Aggie nahm einen Schluck aus seiner Flasche und ging ein paar Schritte auf Joe zu. »Willst du ein bisschen Geld verdienen?«
Joe lachte. »Du hast doch gar kein Geld.«
»Ich krieg welches, wenn du mitmachst«, sagte Aggie. Er schob seine Kapuze zurück und holte einen Stapel zusammengefalteter Geldscheine aus der Tasche.
»Ich bin nicht schwul«, sagte Joe.
»Ich auch nicht, verdammt.«
»Was willst du denn sonst?«
»Ich brauch einen Wagen mit ’ner Anhängerkupplung. Ich hab da ein paar Sachen, die abgeschleppt werden müssen.«
»Wohin?«
»Nicht weit. Ich hab schon zwei Pick-ups, aber bei beiden ist die Kupplung im Arsch.«
»Wenn du zwei Autos hast, wieso stehst du dann hier ohne eins
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