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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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Und nun hielt er diesen Zettel mit der Botschaft in der Hand und erinnerte sich an seine Mutter und die kleine Kirche und daran, wie diese Welt früher ausgesehen hatte, und er spürte, wie ihn das fertigmachte.
    Er fuhr langsam über den matschigen Untergrund der unbefestigten Straße, und der Jeep rutschte manchmal zur Seite. Er war sich unsicher, ob er hier wirklich am richtigen Ort war. So wie die Gegend jetzt aussah, war es sehr schwer, sich zurechtzufinden. Es wurde immer schlimmer, und ein Ende war nicht in Sicht. Die Bäume, die dicht an der Straße standen, kamen ihm bekannt vor, aber in der Reihe waren Lücken, die früher nicht da gewesen waren. Häuser, die ihm als Orientierung dienen könnten, waren verschwunden. Es war nur eine ungefähre Ahnung gewesen, die ihn glauben ließ, dass die kleine Kirche sich hier befand.
    Ein oder zwei Meilen weiter sah er sie. Sie stand noch immer aufrecht rechts neben der Straße. Er fuhr hin, hielt davor an und schaute sich um. Er sah die Männer vor sich, die in kurzärmeligen Hemden in der Sommersonne davor standen, Zigaretten in den schwieligen Händen hielten und rauchten. Die Kinder rannten zwischen den Autos herum und spielten Fangen. Ihr lautes Kreischen und Lachen störte die sonntägliche Ruhe. Frauen mit rosigen Gesichtern, in sauberen Sonntagskleidern, mit unter den Arm geklemmten Bibeln.
    Ihm kam der Gedanke, einfach wieder in den Jeep zu steigen und wegzufahren. Vielleicht war seine Zeit mit Aggie ja vorbei. Vielleicht wollte er ja nicht verantwortlich sein für all diese Frauen und das, was noch kommen würde. Vielleicht war ihm dieser Zettel mit der Botschaft aus einem bestimmten Grund in die Hände gefallen. Vielleicht sollte er sich frei machen. Vielleicht war es ja nicht so einfach, hierherzukommen, den Kopf wieder klar zu kriegen und dann zurückzukehren zu den Trailern mit den Gesichtern hinter den Fenstern.
    Die Flinte mit den Patronen lag neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er griff nach dem Gewehr, legte es aber gleich wieder zurück. Er stieg aus, zog die Kapuze vom Kopf und schaute sich um. Die beigefarbenen Ziegelsteine waren schmutzig und verschimmelt. Die Eingangstüren waren verschwunden. Er trat näher und bemerkte die feuchte, schwarze Asche auf dem Portal. Er stieß mit dem Fuß dagegen und ging weiter durch die Tür. Ein Baum war auf das Dach gefallen und hatte es teilweise zerstört. Moosbewachsene Äste hingen bis auf die Kirchenbänke herab. Scherben von buntem Glas lagen unter den Fenstern. Er sah sich die Bank an, auf der sie immer gesessen hatten, hörte die Stimme seiner Mutter, die ihn ermahnte, still zu sitzen. Er fragte sich, was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, auf was er sich eingelassen hatte. Er stand im Eingang der Kapelle, rauchte und dachte darüber nach, wie er sich ihr gegenüber rechtfertigen würde.
    Die Welt hat sich verändert, dachte er. Eine andere Erklärung konnte er nicht finden.
    Er trat wieder nach draußen und ging an der Kirche entlang. Fragte sich, ob er vielleicht einen Blick in den hinteren Raum werfen sollte. Vielleicht war da ja noch etwas Wertvolles zu finden. Er kniete sich vor einem Fenster hin und schaute sich die bunten Glassplitter an, die in einer Pfütze lagen. Er fischte ein paar von den Splittern heraus. Violette, blaue und rote. Er legte sie auf seine Handfläche und bewunderte die reinen Farben. Er stellte sich vor, wie das Sonnenlicht darauf schien. Und träumte von hellen Farben und besseren Zeiten.
    Daran würde er als Letztes denken, wenn er im Sterben lag. Daran, wie er neben der Kapelle kniete, mit den bunten Glassplittern in der Hand, und darüber nachdachte, wie er sonntags als kleiner Junge mit seiner Mutter hier zum Gottesdienst gegangen war. Daran und nicht an das, was er getan hatte, nicht an das Fleisch und Blut, dass er sich zusammen mit Aggie angeeignet hatte. Nicht an die Frauen, die er eingesperrt und missbraucht hatte, ihre Körper und ihren Geist und vielleicht auch ihre Herzen und ihre Seelen, wenn er die Türen aufschloss, wenn er es wollte, ihnen was zu essen brachte, wenn er es wollte, und mit ihnen tat, was er wollte, wenn ihm danach war. Was für einen anderen Grund hätte es geben können, sie bei sich zu behalten? Er machte sich keine Gedanken über sie und die Männer, von denen er sie getrennt hatte. Über das Blut an seinen Händen und den Schmutz unter seinen Fingernägeln. Er dachte nicht darüber nach, dass er widerrechtlich Macht ausgeübt hatte, er

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