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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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rum?«
    »Laufen ist gesund.«
    »In dieser Gegend vielleicht eher nicht.«
    »Meine Pick-ups sind da, wo sie gebraucht werden. Wenn du sie sehen willst, nimm das Geld. Wenn du mitmachen willst, nimm das Geld. Wenn du nicht willst, dann lass es.«
    Joe dachte darüber nach. Er brauchte dringend Geld. Alle brauchten dringend Geld. »Wie viel?«
    Aggie hielt ihm die gefalteten Scheine hin. »Alles.«
    »Scheiße«, sagte Joe und schüttelte den Kopf. »Du hältst mich wohl für schwachsinnig.«
    Aggie war während des Gesprächs näher gekommen, stand jetzt dicht vor ihm und hätte ihn berühren können.
    »Ich glaube nicht, dass du schwachsinnig bist. Ich brauch was. Du brauchst wahrscheinlich auch irgendwas, so wie jeder hier unten. Oder warum solltest du sonst noch hier sein?«
    Er hielt ihm immer noch das Geld hin. »Nimm’s. Nimm’s, und lass uns losfahren. Wir können uns unterwegs ein bisschen unterhalten. Ich hab was zu trinken und jede Menge Zigaretten. Rauchst du?«
    »Ja, ich rauche«, sagte Joe und streckte die Hand nach dem Geld aus. Dann schaute er sein Gegenüber misstrauisch an. »Mach mal die Jacke auf«, sagte er.
    Aggie machte die Jacke auf, und Joe sah, dass er eine Pistole im Hosenbund stecken hatte. »Du hast doch auch eine«, sagte Aggie. »Also sind wir quitt.«
    »Du musst mir die Waffe geben, wenn wir zusammen fahren.«
    »Nee, mach ich nicht. Du hältst schon mein ganzes Geld in der Hand. Meine Waffe kriegst du nicht. Ich hab keine Lust, pleite und tot zu sein.«
    Joe dachte darüber nach. Der Mann schien direkt durch ihn hindurchzusehen. Irgendwas sagte Joe, dass es nicht schaden konnte, sich in dieser Situation mit dem Mann zusammenzutun.
    Also nahm er ihn in seinem Wagen mit. Das war vor drei Jahren gewesen.
    Es war leicht, mit Aggie klarzukommen. Er sprach immer voller Überzeugung, war geradeheraus und grundehrlich. Er hatte ein Ziel vor Augen und vermittelte Joe das Gefühl, dass sie beide von ihrer Zusammenarbeit profitierten. Manchmal hatte er sogar das Gefühl gehabt, in Aggie so etwas wie einen Bruder gefunden zu haben. An anderen Tagen allerdings hätte er sich nicht gewundert, wenn Aggie ihm mitten in der Nacht die Kehle durchgeschnitten hätte. Aggie konnte gut mit Leuten reden und sie von etwas überzeugen. Joe hörte ihm zu, wenn er mit Gestrandeten redete, die total am Ende waren. Kommt her, wir geben euch was zu essen, sagte er denen dann mit dem mitfühlenden Unterton eines wohlmeinenden Opas. Wir haben einen warmen, sicheren Ort für euch, wo ihr schlafen könnt. Die Leute hier unten müssen sich gegenseitig helfen, sagte er immer. So wie der Vater im Himmel sich um die Vögel kümmert, so kümmert er sich auch um uns. Und ich helfe ihm ein bisschen dabei. Kommt mit, dann kriegt ihr was zu essen und könnt euch überlegen, was ihr als Nächstes tun wollt. Wir können euch sogar nach Norden über die Linie bringen, wenn ihr möchtet, sagte er ihnen. Und dann kletterten sie auf die Ladefläche des Pick-ups, vielleicht weil sie ihm vertrauten, vielleicht auch, weil sie keine andere Wahl hatten, aber sie stiegen ein. Und sie waren dankbar, wenn sie was zu essen bekamen und ein trockenes Plätzchen zum Schlafen, und sie glaubten, sie hätten ihren Retter gefunden. Er hatte Aggie geglaubt, als er sagte, es sei doch nur zu ihrem eigenen Besten. Ohne ihre Hilfe würden sie elend zugrunde gehen. Und du weißt doch, dass die Männer eine Gefahr darstellen. Wenn du sie nicht in den Wald bringst, dann werde ich es tun. Ich werde tun, was getan werden muss, und du wirst dabei sein. Das geht dich genauso viel an wie mich. Dies ist dein Land. Es ist unser Land.
    Joe hatte zugeschaut, und er hatte gelernt. Er hatte mitgemacht. Schließlich brachte er einen Mann in den Wald und führte ihn seiner Bestimmung zu, begrub ihn, und danach war alles viel leichter. Aber die letzte Nacht belastete ihn. Vielleicht war es auch die Ansammlung vieler solcher Nächte und die Tatsache, dass sie immer regelmäßiger auftraten. Der Wind schien überhaupt nicht mehr nachzulassen. Der Regen schien überhaupt nicht mehr aufzuhören. Es war schlimm und wurde immer schlimmer. Die Nächte, in denen er verängstigt in seinem Wohnwagen saß, während der Sturm dagegenpeitschte und daran zerrte, häuften sich und waren ihm nur allzu vertraut geworden. Er musste sich betrinken, um diese Nächte zu überstehen, aber wenn er betrunken war, wühlte ihn das innerlich auf, und das Ganze wurde ein teuflischer Kreislauf.

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