Nach der Hölle links (German Edition)
konnten. Nach überstandenen Übungssituationen waren seine Knie stets etwas weich. Durstig trank er von seiner Cola, während Sascha in Windeseile den ersten Burger auswickelte und wie ein ausgehungerter Wolf darüber herfiel. Grüner Salat drückte sich aus dem Brötchen und fiel auf das Tablett zurück.
»Hast du in letzter Zeit nichts zu essen bekommen?«, fragte Andreas, während er weit weniger enthusiastisch seine Pommes frites betrachtete. Zögernd nahm er eine einzelne heraus und schob sie sich in den Mund. Er brauchte stets etwas Zeit, um sich an eine neue Umgebung zu gewöhnen. Die latente Übelkeit musste nachlassen, bevor er ernsthaft mit dem Essen begann. Der Umstand, dass ihm das Verhalten seines Begleiters merkwürdig vorkam, half nicht.
Sascha wedelte mit der Hand, um zu zeigen, dass er nicht antworten konnte. Als er geschluckt hatte, verzog er den Mund. »Du kennst mich. Wenn ich eine Mahlzeit auslassen muss, bin ich nicht zu ertragen. Ich habe heute noch nichts gegessen.«
»Du hast um halb drei noch nichts gegessen?«, erwiderte Andreas ungläubig. »Dann musst du ja fast scheintot sein.«
»So ungefähr.« Die Reste des Burgers verschwanden in Saschas Schlund. Eine zweite Verpackung fiel auf den Tisch, während er murmelte: »Der Übergang ist vermutlich etwas geschmacklos, aber wie geht es deiner Mutter?«
Andreas verlor sich darin, präzise das Tütchen mit dem Ketchup auszudrücken, bevor er antwortete: »Ganz gut, was die OP angeht. Aber sie ist sehr erschöpft. Weint viel, wenn auch nie vor mir. Streitet sich mit meinem Vater herum. Sie will nach Hause, aber ich glaube nicht, dass sie sobald entlassen wird. Bei Privatpatienten schaut man ja doppelt und dreifach hin.« Er zögerte. »Inzwischen war ein Psychologe bei ihr und hat ihr ins Gewissen geredet.«
»Inwiefern?«
»Ich weiß es selbst nicht genau. Aber sagen wir, ihr Essverhalten war nie das Wahre und muss noch schlimmer geworden sein, seitdem ich fort bin.« Andreas zwang sich, der Schuld keinen Raum zu geben, die mit böse leuchtenden Augen auf ihn zusprang. »Sie ist überarbeitet und psychisch am Ende.«
»Tja, es stimmt eben nicht, wenn die Leute sagen, dass Sorgen und Stress schon keinen umbringen«, nickte Sascha düster. »Allmählich begreifen die Leute ja, dass psychische Gesundheit ebenso wichtig ist wie physische. Aber es ist noch ein weiter Weg, bis sie auch danach handeln.«
Für Andreas klang das nach einer Weisheit, die Sascha im Studium eingeimpft worden war; steif und weltfremd.
»Meine Mutter ist da jedenfalls weit von entfernt. Sie lernt nicht dazu. Ist ja nicht so, als wäre sie zum ersten Mal an ihre Grenzen gekommen.«
»Ja, ich erinnere mich. Sie war zeitgleich mit dir in der Klinik. Dein Großvater hat es gesagt.«
»Genau.« Andreas wand sich. Er wollte nicht über seine Mutter sprechen. Er hatte auch ohne Erinnerung an sie genug Schwierigkeiten, der Situation Herr zu werden. Um von dem unangenehmen Thema seiner Familie abzulenken, fragte er Sascha: »Und bei dir? Alles im Lot?«
Der Freund hielt in seinem Bemühen, das Tablett in Rekordzeit zu leeren, inne. »Hm … ja. Jein. Nicht so richtig.«
»Das ist nicht sehr aussagekräftig.« Bevor Andreas sich bezähmen konnte, fügte er hinzu: »Du siehst gestresst aus. Müde.«
»Findest du?« Sascha spielte mit den Servietten, und Andreas wünschte sich ein Loch, in dem er sich verkriechen konnte. Hätte er bloß den Mund gehalten. Jetzt sah es aus, als würde er Saschas Wohlergehen mit Argusaugen beobachten.
War das unter Freunden normal oder ging er damit zu weit? Gab es denn keine Anleitung, wie Männerfreundschaften auszusehen hatten? Einen Beipackzettel für lebensferne Vollidioten, die sich auf dem Parkett der zwischenmenschlichen Beziehungen nicht auf die Schnauze legen wollten?
Sascha seufzte und warf den Rest seines Burgers in die Pappschachtel zurück, bevor er sich nach hinten lehnte und einen Fuß auf den freien Stuhl an seiner Seite stützte. »Sorry. Ich versaue gerade unsere Verabredung, oder?«
Andreas schüttelte wild den Kopf.
Sascha lächelte dankbar über die fromme Lüge. »Ich bin auch nicht begeistert. Aber wie es aussieht, muss ich heute noch einen Umzug stemmen.« Er lachte bitter. »Heute Nacht hat es bei uns in der WG dermaßen geknallt, dass ich keine andere Wahl habe. Ich kann da nicht bleiben.«
Andreas war bestürzt. Der Verlust des sicheren Hafens war für ihn nach wie vor eine der schlimmsten Vorstellungen
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