Nach der Hölle links (German Edition)
Gedanken und Gefühlen stellen, die vielfältiger und verworrener waren, als ihm recht sein konnte.
Das Schwänzen der Sitzung hatte ihm eine milde Standpauke eingebracht. Der Bericht über die Ereignisse der Party war Andreas stockend über die Lippen gegangen. Er hatte selbst bemerkt, wie unstet er in dieser Sache empfand. Wie schwer es ihm fiel, den Vorfall mit Brains Bruder zu deuten.
Er schämte sich. Gleichzeitig war er wütend, dass sie gestört worden waren. Saschas erst verletzter, anschließend kühler Blick fraß sich in seinen Kopf. Er hatte Andreas an ein Weihnachtsfest vor vielen Jahren erinnert, an dem Sascha bei ihm Trost suchte und kalte Zurückweisung fand. Allerdings glaubte er trotzdem, dass er niemandem Rechenschaft schuldig war. Konnte man einerseits sein Handeln bereuen und andererseits stillschweigend toben, weil man nichts lieber getan hätte, als die Sache zu einem lustvollen Ende zu bringen?
Wie verwirrt Andreas gewesen war, hatte sich gezeigt, als er nach der Heimfahrt im Taxi endlich allein war. Die Panikattacke, die ihn fortgetrieben hatte, war abgeklungen, und er so aufgepeitscht, dass er als Erstes unter die Dusche ging und sich schnell und lieblos einen runterholte. Danach hatte er geweint, weil er Angst hatte, dass Sascha aus seinem Leben verschwinden könnte. Anschließend war er wütend geworden, weil er es nicht verstand, warum das Schicksal ihm sofort dazwischenfunkte, nur weil er einen Mann küsste. Den zweiten Mann in seinem Leben. Er hätte sein Abenteuer gern noch ein wenig genossen. Nur ein paar Minuten. Länger hätte er eh nicht gebraucht.
Dieser Gedanke heizte seine Lust frisch an, sodass er ins Bett ging und fantasierte, wie die Begegnung weitergegangen wäre, falls man sie nicht unterbrochen hätte. Anfangs war nur Brains Bruder Teil seiner Vorstellungen gewesen. Feste, wissende Küsse, eine große Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihren Körpern, keine überflüssigen Gefühle, nur gegenseitiges Genießen. Doch es hatte nicht lange gedauert, bis Sascha sich in Andreas’ Fantasie zu ihnen gesellte und sie zu dritt weitermachten. Er kam so hart, dass der Orgasmus mit süßem Schmerz einherging und hinterher in seinen Lenden weiterpochte. Dann hatte er wieder geweint. Aus reiner Frustration, weil er allein war.
Die Details über seine Masturbationsorgien, die im Laufe der Woche nicht abgenommen hatten, enthielt Andreas Köninger vor. Er hatte den Kopf gesenkt und darauf gewartet, einen ernsten Vortrag über Saschas verletzte Gefühle und sein eigenes vogelwildes Verhalten zu hören, über die Gefahren von anonymem Sex im Allgemeinen und für einen emotional instabilen Menschen wie ihn im Besonderen.
Stattdessen ging der Therapeut nur am Rande auf das Ende der Party ein und sprach dafür lange und sehr ernst über die Gefahr, in der Andreas seiner Meinung nach schwebte. Er erinnerte ihn daran, dass Alkohol und Drogen nie eine Lösung waren und für Andreas eine sehr viel größere Versuchung darstellten als für andere Menschen. Sie durften keine Flucht werden. Köninger hatte sich so besorgt gezeigt und ihm so eindringlich geschildert, wie es ihm ergehen würde, falls er von dem ein oder anderen psychisch abhängig wurde, dass Andreas ganz schlecht geworden war.
Diese Angst hielt sich seitdem klebrig in seinen Eingeweiden und wollte nicht weichen. War er ein Kandidat für eine Abhängigkeit? Nein, wollte er schreien und musste doch zugeben, dass er die Partys unter Einfluss der enthemmenden Getränke und Drogen genossen hatte. Er war frei gewesen.
Alkohol hatte er bereits früher getrunken; auch über den Durst hinaus. Aber er hatte nie zuvor den Gedanken gehabt, dass er sich betrinken könnte, um Dinge leichter zu machen. Treffsicher wie immer hatte Köninger den Finger in die Wunde gelegt und die Vermutung aufgestellt, dass Andreas Gefahr lief, Alkohol und Gras zu benutzen, um sich die Lasten der Welt leichter zu machen.
Er sollte recht behalten. Andreas hatte sich dabei ertappt, dass er Brain fragen wollte, woher er seinen Stoff bezog. Er gab es Köninger gegenüber nie zu, aber sich selbst konnte er schlecht belügen.
Andreas fühlte sich unendlich schwach und einsam. Er wagte nicht, Sascha zu kontaktieren, weil er sich vor dessen Zorn fürchtete. Nein, nicht primär vor dessen Zorn, eher vor dessen Enttäuschung. Davor, dass Sascha ihm tapfer in die Augen sehen und den verständnisvollen Freund geben würde. Andreas war nicht sicher, ob er diese fromme
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