Nach der Hölle links (German Edition)
Ein Nerv unter ihrem Auge zuckte hektisch, ihre Lider flatterten.
Sein Abschied war kaum mehr als ein Nicken. Er musste fort. Schnell. Zwei Gedanken kreisten in Andreas’ Kopf, als er den Weg entlang hastete und sich bemühte, seinen aufgebrachten Magen zu beruhigen. Der eine war, dass nicht er sich geoutet hatte, sondern seine Mutter. Der andere, dass die Villa seiner Eltern keineswegs ein Friedhof war. Sie war ein Irrenhaus.
Kapitel 42
Ein strahlender Held sah anders aus. Nicht, als wäre jeder Schritt zu viel für Körper und Geist.
Sascha spürte Nervositäts-Raupen durch sein Zwerchfell kriechen. Er hatte neben der Haustür gehockt und seit einer guten Stunde getan, als müsse er dringend etwas am Fahrrad reparieren. In Wirklichkeit hatte er gelauert, was sich nicht zuletzt durch die Schnelligkeit verriet, mit der er in die Höhe schoss, als sein Freund in den Garten kam.
Andreas’ Schultern waren gebeugt wie die eines alten Mannes, sein Gang so ungelenk, als wolle er vornüber fallen. Seit ihrer letzten Begegnung schien er um Jahrzehnte gealtert – oder durch eine einzige, herausfordernde Aufgabe all seiner Kraft beraubt.
In Saschas Brust bildete sich ein Rinnsal. Satzfetzen überholten sich gegenseitig in seinem Kopf und wollten Fragen formulieren.
Wie war es gelaufen? Was hatte sie gesagt? Wie ging es Andreas damit? Was brauchte er? Waren sie Verbündete als Söhne, die von ihren Müttern verstoßen worden waren?
Sascha hatte sich oft vorgestellt, wie die Reaktion der von Winterfelds auf Andreas’ Coming Out ausfallen könnte. Und er war stets zu demselben Ergebnis gekommen: Entweder würde es sie nicht interessieren, wie sie nichts interessierte, was Andreas betraf, oder sie würden ausflippen. Der vom Weg abgeratene Sohn nicht nur gestört, sondern auch noch schwul! Ein Grund mehr, ihn in das Hinterzimmer der gesellschaftlichen Akzeptanz zu schubsen und die Tür mit einem Sicherheitsschloss zu versehen.
Alle potenziellen Fragen blieben Sascha im Hals stecken, als Andreas zu ihm kam und ihn stumm umarmte. Augenblicklich wurde Sascha warm, und er umfasste Andreas seinerseits. Ihre Umarmung passierte innerhalb von Sekunden die freundliche Wohlfühlgrenze und wurde hart.
Sascha spürte den galoppierenden Puls an seiner Wange, fühlte Anspannung im Körper des anderen Mannes, aber auch die Bereitschaft, sich an ihn zu lehnen.
Hoffnungsvoll murmelte er: »Willst du reinkommen?« Er wusste, dass es in dieser Situation nicht selbstverständlich war, wenn Andreas blieb. Zwar hatte er Sascha in den vergangenen Monaten einige Male zu Hause besucht oder ihn abgeholt, aber es war und blieb ein fremdes Haus. Es konnte ihm nicht dieselbe Sicherheit bieten wie die eigene Wohnung.
»Muss ich wohl. Ich kann nicht mehr«, erwiderte Andreas zitterig und ließ die Arme sinken.
»Du kippst mir aber nicht um, oder?«
»Weiß nicht …«
»Dann lass uns schnell reingehen.«
Sascha löste sich widerwillig von seinem Freund, stieß die angelehnte Haustür auf und winkte Andreas hinter sich her. Das Halbdunkel des Flures hatte etwas Freundliches an sich; eine raumgewordene, beruhigende Berührung. Sofort peilte Sascha die Treppe an, um sich mit Andreas nach oben zu verdrücken, aber das plötzliche Auftauchen seiner Tante machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
Tanja schaute so auffallend unauffällig aus der Küche, dass selbst ein Blinder bemerkt hätte, dass sie ebenso ungeduldig auf Andreas’ Ankunft gewartet hatte wie Sascha.
»Hey«, rief sie aufgesetzt übermütig. »Da seid ihr ja. Ich hoffe, ihr habt Hunger. Meine degenerierten Kochgene sind mit mir durchgegangen.« Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter in die Küche und grinste schief. Ihre Augen huschten zwischen Sascha und Andreas hin und her, suchten Antworten und ignorierten geflissentlich das sachte Kopfschütteln ihres Neffen.
Sascha verzog den Mund. Es war kein guter Zeitpunkt, um Andreas mit Häuslichkeit zu torpedieren. Er brauchte Ruhe, um sich zu sammeln, vielleicht eine Hand, an der er sich festklammern konnte. Lasagne, so gelungen sie auch sein mochte, stand nicht auf der Liste der fünf wichtigsten Dinge nach dem Coming-Out. Aber Sascha musste feststellen, dass seine Tante sich nicht für seine Meinung interessierte.
Andreas lächelte blass und machte Anstalten, sich für die Einladung zu bedanken – oder sie auszuschlagen. Was er sagen wollte, sollte Sascha nie erfahren, denn bevor Andreas ein Wort hervorbringen konnte,
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