Nach der Hölle links (German Edition)
und ihr Karnickel-Essen und nicht um den Konzern. Kannst du mir mal sagen, warum ich nicht einmal wichtig sein kann? Manchmal glaube ich, es ist ihr wirklich egal, was mit mir wird. Ich hätte ihr auch sagen können, dass ich einen fußballgroßen Tumor im Bauch habe und sie hätte mir vermutlich immer noch die Ohren vollgejammert. Warum macht sie das? Konnte sie nicht einfach etwas Nettes sagen?«
Sascha kam der Gedanke, dass Margarete von Winterfeld wenigstens nichts Negatives über Andreas’ Homosexualität gesagt hatte. War das ein Fortschritt? War es besser als die zunehmend aggressive Abwehr seiner eigenen Mutter? War Desinteresse besser als Hass?
Behutsam zog er Andreas näher an sich heran, bevor er heiser flüsterte: »Aber sie hat nicht gesagt, dass sie ein Problem damit hat? Mit uns?«
»Nee. Kein Stück. Sie will sich auch einen Hund zulegen und mit Triton und mir spazieren gehen. Ihr Leben umkrempeln. Sie nimmt jetzt Klavierunterricht.« Andreas’ Faust donnerte auf die Tagesdecke. Seine Augen glitzerten feucht. »Ich erzähle ihr, dass ich schwul bin und sie? Nimmt Klavierunterricht! Wo bin ich hier eigentlich?«
Zu gern wollte Sascha sich auf Andreas’ Wut einlassen und sich mit ihm gemeinsam aufregen. Auch er fragte sich, warum Frau von Winterfeld nicht ausnahmsweise den Fokus auf ihren Sohn richten konnte. Niemand hatte Wunder von ihr erwartet, aber es wäre nicht zu viel verlangt gewesen, ihm etwas Nettes zu sagen.
Wollten sie zu viel? War es unrealistisch zu hoffen, dass man mit offenen Armen empfangen wurde? Dass eine Mutter sagte: »Mir ist es egal, ob du schwul bist. Du bist mein Kind, und ich liebe dich.«?
Nein, war es nicht. Es geschah tagtäglich. Eltern sagten: »Schatz, schön, dass du uns das sagst, aber wir haben es schon immer gewusst.« Andere waren überrascht und fingen sich schnell. Wieder andere hatten Angst vor Krankheiten, Angst vor Diskriminierung, vielleicht Angst vor den Großeltern. Aber woanders gab es sie, die freundlichen, herzlichen Reaktionen, die Sascha sich für Andreas und sich selbst erhoffte. Es musste sie geben.
Auf einmal war Sascha neidisch. Er konnte sich nicht dagegen wehren, aber er wünschte, seine Mutter wäre ähnlich desinteressiert wie Margarete von Winterfeld. Bei ihr durfte man wenigstens sicher sein, dass sie nicht die Familie gegen ihren Sohn aufhetzte. Sie kümmerte sich nur um sich selbst, was allerdings auch bedeutete, dass sie Andreas nicht das Leben schwer machte. Sascha wollte diese Form von Lieblosigkeit für sich selbst. Besser man wurde ignoriert als voller Hass angesehen.
Auf der Suche nach Vergessen und Nähe legte Sascha ein Bein über Andreas’ Hüfte. Nach Feuchtigkeit suchend strich er ihm über die Wange. »Immerhin hat sie dich nicht vor die Tür gesetzt. Vielleicht kann das etwas werden, wenn es ihr besser geht. Vielleicht ist sie wirklich krank.«
Es war sehr wahrscheinlich, dass Andreas’ Mutter große Probleme hatte und diese jahrelang auf ihr Kind übertragen hatte. Doch jetzt wollte er nicht darüber nachdenken. Sobald er die Situation von der rationalen Seite aus erfasste, konnte er vielleicht nicht mehr zornig sein. Nicht mehr mit dem Mann, den er immer um sich haben wollte, Rücken an Rücken stehen und gegen die Welt kämpfen.
»Wer sagt, dass ich will, dass es was wird?«, erwiderte Andreas bissig. »Wer sagt, dass es mich interessieren muss, ob sie krank ist? Oh ja, ich kann mir vorstellen, was Köninger mir erzählen wird. Irgendwann werde ich nicht mehr sauer sein und sehen, dass sie nicht anders konnte und dass sie nichts mit Absicht getan haben. Blablabla. Aber ich weiß, dass ich mir jeden Tag den Arsch aufreiße, um irgendwie normal zu sein. Und dann gehe ich zu ihr, teile mich ihr mit, wie mein Herr Therapeut das nennt, und es passiert gar nichts. Niente. Nada. Warum muss ich mir Mühe geben, mit jemandem auszukommen, der sich überhaupt nicht für mich interessiert?«
Es gab viele gute Antworten auf diese Frage. Wunderbar durchdachte, psychologisch wertvolle, logische Antworten. Sascha konnte und wollte sie nicht geben.
»Weiß nicht«, antwortete er leise, während die Eifersucht auf Margaretes Reaktion in ihm vibrierte. »Ich kann dich nicht überreden, heute Nacht hier zu bleiben, oder?«
Sascha brauchte Andreas auf einmal verzweifelt bei sich, aber er wollte ihn nicht bedrängen. Es stand ihm nicht zu. Andreas war derjenige, der heute Großes geleistet hatte und zu ihm gekommen war, um sich
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