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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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verkrampfte sich. Er wollte sich nicht vorstellen, wie seine Mutter den Knick in der Treppe verpasste und stattdessen an die Wand schlug, an der sich Andreas früher abgestützt hatte, wenn er nach unten rannte. Und er mochte sich nicht ausmalen, warum es seiner Mutter so schlecht gegangen war. War er schuld, weil er sie angegriffen hatte? Wegen Sascha und schon etliche Male zuvor?
    Die Worte seines Großvaters schürten seine Angst, und da war noch etwas anderes. Etwas, das an ihm nagte und wild winkend in seinem Geist auf sich aufmerksam machen wollte.
    Am Ende wusste Andreas’ Mund eher als sein Verstand, worum es sich handelte: »Hast du gerade gesagt, sie ist schon wieder im Krankenhaus?«
    Die Erkenntnis dämmerte ihm im gleichen Augenblick, in dem er die Frage stellte. Er wusste nichts von einem Krankenhausaufenthalt seiner Mutter.
    Die Stirn seines Großvaters furchte sich, bevor er müde feststellte: »Sie haben dir also nichts erzählt. Nun ja, ich hätte wohl genauso gehandelt.«
    »Was?«, zischte Andreas und spürte Hysterie in sich Gestalt annehmen.
    »Ach Junge«, wiegelte Gustav von Winterfeld ab. »Das ist jetzt nicht von Belang, oder?«
    Auf einmal war Andreas erstaunlich klar – oder betäubt genug, um noch mehr schlechte Nachrichten aufzunehmen – und verlangte: »Sag es mir. Jetzt.«
    Sascha an seiner Seite sah ihn überrascht an. Den herrischen Von-Winterfeld-Tonfall kannte er noch nicht.
    Eine Weile schwieg der alte Mann, was nicht zuletzt daran lag, dass Bewegung im Flur entstand, als ein Patient an ihnen vorbei geschoben wurde. Schließlich seufzte er: »Sie werden es dir nicht gesagt haben, weil du zu dem Zeitpunkt selbst im Krankenhaus lagst. Aber Margarete war auch in der Klinik. Vollkommene Erschöpfung. Burn-out. Nervenzusammenbruch. Wie immer man es nennen will. Sie war am Ende ihrer Kräfte.«
    Andreas erinnerte sich gut an die aggressiven Zwischenfälle und den Jaguar, mit dem seine Mutter die niedrige Mauer vor dem Haus mitgenommen hatte. Ihre Unvernunft und ihre wahnwitzigen Anschuldigungen standen ihm vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Sie war einer der entscheidenden Faktoren gewesen, sein Elternhaus zu verlassen. Vor allen Dingen erinnerte er sich aber daran, dass er in der Psychiatrie fast keinen Besuch von ihr bekommen hatte.
    »Wie haben sie es gemacht? Wenn sie selbst Ausgang hatte, ist sie zu mir gekommen, oder wie? Sag nicht, sie war in derselben Klinik?« Andreas hatte Mühe, sich zu beherrschen. Er wollte schreien. Schreien!
    »Nein, nicht in derselben Klinik. Das erschien nicht klug. Ihr wärt euch vielleicht zur falschen Zeit draußen im Park über den Weg gelaufen. Und dann? Nein, sie war in einer Art Kurzentrum. Aber es hat sich nicht viel geändert. Sie hat nichts daraus gelernt.«
    Andreas war so erschüttert, dass er instinktiv zu Sascha rückte, der die Gelegenheit beim Schopf ergriff und ihm die Hand auf die Schulter legte; auf eine ganz und gar kumpelhafte Weise. Das schien angebracht und kein bisschen verräterisch, zumal es auch gar nichts zu verraten gab.
    Andreas konnte nicht denken, aber er lehnte sich unmerklich in die Berührung hinein und versuchte, mit den Neuigkeiten zurechtzukommen.
    Niemand hatte ihm gesagt, dass seine eigene Mutter zusammengebrochen war. Es war seine Schuld. Daran gab es für ihn keinen Zweifel. Er hatte sich losgesagt und war gegangen. Andreas war nie der Sohn gewesen, den sie brauchte. Inzwischen war ihm bewusst, dass er dieses wunderbare Traumkind auch gar nicht sein konnte.
    Er glaubte Köninger in seinem Kopf zu hören, der ihn zur Ordnung rief und seine Schuldgefühle relativierte. Ohne Erfolg.
    Andreas schwirrte der Schädel, und er schaltete ab. Er nahm kaum mehr als seinen eigenen Atem und das Flackern einer defekten Neonröhre wahr. Weder war er in der Lage zu reagieren, als sein Vater endlich abgehetzt und blass eintraf und sich sofort mit seinem Großvater in die Wolle bekam, noch fühlte er sich imstande, dem Arzt zuzuhören, als dieser sich zu ihnen gesellte. Dass seine Mutter die Operation den Umständen entsprechend gut überstanden hatte, drang kaum zu ihm durch. Umso deutlicher vernahm er die Erklärung des Arztes, dass eine Hirnschwellung zu befürchten war und nicht die Rede davon sein konnte, dass Margarete außer Gefahr war. Sollte der Hirndruck zu groß werden … Die medizinischen Details verkamen zu einem monotonen Rauschen.
    Mit jeder Minute sackte Andreas weiter in sich zusammen. Konnte nicht

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