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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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sprechen, begann zu zittern und zog damit die Aufmerksamkeit seines Vaters auf sich, der ihn ansprach und keine Antwort bekam. Er hörte, dass Sascha für ihn in die Bresche sprang. Er vernahm ihre Stimmen, verstand aber die Worte nicht. Sein Magen knurrte und wollte sich doch scheinbar aus dem Körper schälen. Er war todmüde.
    Andreas war erschöpft und wehrte sich nicht, als Richard, Gustav und Sascha einstimmig – in einer anderen Welt hätte er ihre Einigkeit lächerlich gefunden – verkündeten, dass es für ihn an der Zeit war, nach Hause zu fahren.
    Es gab eine kurze Diskussion, wer Andreas begleiten sollte. Sascha unterbrach die Fragen nach Chauffeuren und Dienstwagen. Klar bestimmte er: »Ich bringe ihn nach Hause. Ich habe ihn hergeholt, und ich bringe ihn auch in seine Wohnung. Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Was er von dem Winterfeldschen Familienchaos hielt, ließ er sich nicht anmerken. Aber er blieb an Andreas’ Seite wie ein guter Geist, protestierte nicht, als Richard blind in seine Brieftasche griff und ihm viel zu viel Geld für ein Taxi in die Hand drückte.
    Wenn sie von allem so viel hätten, wie Taxigeld, wären sie glückliche Menschen, dachte Andreas bissig.
    Er hasste sich dafür, froh zu sein, weil er gehen durfte. Sein Soll war zwar erfüllt, doch ihm war zu bewusst, dass Vater und Großvater vor Ort bleiben würden. Die ganze Nacht lang, wenn es nötig war und man sie ließ. Erstaunlich, dass es auf einmal doch so etwas wie einen Familienzusammenhalt gab und dass sie auf ihn Rücksicht genommen hatten. Oder waren sie lediglich der Meinung, dass er nicht dazugehörte?
    Wichtig war nur die frische Luft, die Andreas draußen erwartete. Sie kühlte sein Gesicht. Der erste Schritt ins Abendlicht war wie eine Erweckung. Nur wachte er nicht auf. Der Albtraum blieb bestehen, auch wenn er die sterilen Korridore und chemischen Gerüche hinter sich ließ. Er war nicht mehr bei sich, wusste es und wollte nichts daran ändern, denn sein Geist brauchte diesen schützenden Kokon.
    Und da war Sascha, der ihm die Hand in den Rücken legte und ihn zum Taxistand führte. Sascha, der dem Fahrer das Ziel nannte und dafür sorgte, dass Andreas keinen Mucks von sich geben musste.
    Die ganze Zeit über war er an seiner Seite gewesen. Niemand hatte Saschas Anwesenheit infrage gestellt, denn solche Kleinigkeiten zählten nicht, wenn ein geliebter Mensch operiert wurde.
    Andreas’ Kopf neigte sich gegen die schmutzige Fensterscheibe. Die Fassaden der Stadt sausten an ihm vorbei. Jede Kurve war zu viel für seinen Kreislauf und doch schrecklich nebensächlich. Mama . Er sehnte sich nach seinem Bett und der Wohnungstür, die hinter ihm ins Schloss fiel.
    Als das Taxi in die Straße einbog und vor seinem Haus hielt, fand Andreas einen Rest Kraft, um allein auszusteigen. Der Bürgersteig schien irreal, das sinkende Licht betrog seine Augen und ihm war schwindelig. Er konnte spüren, wie ihn die restliche Energie verließ. Wie ein Fahrradschlauch, aus dem seit Stunden Luft entwichen war, sackte sein mentales Rückgrat in sich zusammen.
    Andreas dachte nicht nach, als er sich zu Sascha umdrehte und sagte: »Bleibst du?«
    Eine Alternative schien es nicht zu geben. Allein sein konnte er nicht, und Sascha war in dieser Nacht der Richtige, um bei ihm zu sein. Als sich ein Arm um Andreas’ gefühllose Hüfte legte und Sascha ihm den Schlüssel aus der Hose fummelte, fühlte er sich gut aufgehoben. Er legte den Kopf auf die Schulter, die sich ihm bot.

Kapitel 20
    Sascha fühlte sich an einen Schlafwandler erinnert. Er fand keine anderen Worte für das Verhalten des Freunds. Andreas streckte keineswegs die Arme nach vorn oder taumelte hilflos umher. Vielmehr war es das nach innen gerichtete Selbst, die Leere im Gesicht, die Sascha an einen umhergehenden Schläfer denken ließ. Andreas war neben ihm – und doch nicht anwesend. Irgendwann im Verlauf des Tages hatte er sich in seine innere Trutzburg zurückgezogen, in der ihn nur die wichtigsten Nachrichten erreichten.
    Sascha glaubte, ihn verstehen zu können. Unabhängig von Andreas’ besonderer Beziehung zur Außenwelt war die Vorstellung, in einem Krankenhaus auf Nachrichten aus dem OP zu warten, für jeden Menschen ein Albtraum. Allerdings gab Sascha sich nicht der Illusion hin, nachvollziehen zu können, wie tief die Ereignisse des Tages Andreas trafen. Darauf kam es auch nicht an. Es war nur wichtig, ihn nicht allein zu lassen.
    Wie weit Andreas’ Geist

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