Nach dir die Sintflut
war die Trauerrede?«
»Sehr schlecht. Entsetzlich. Aber es ist was passiert. Hör zu.«
»Okay.«
»Würdest du deine Vergangenheit hinter dir lassen, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?«
»Rebecca, ich habe meine Vergangenheit hinter mir gelassen.«
»Warum rufst du mich dann an? Bei euch muss es schon nach ein Uhr sein oder so ähnlich.«
Darauf wusste Stewart nichts zu entgegnen.
»Warum stellst ausgerechnet du mir diese Frage?«, sagte er schließlich.
»Bitte, stell es dir einfach vor. Stell dir vor, ein Wunder würde geschehen und du hättest plötzlich die Gelegenheit, dich von deiner Vergangenheit zu verabschieden. Alle Gefühle auszulöschen, komplett. Würdest du es tun?«
»Geht es um alles oder nichts?«
»Wie meinst du das?«
»Geht es um die Löschung meiner gesamten Vergangenheit? Oder könnte ich Einzelepisoden rauspicken?«
»Das ist ja fantastisch!«
»Was? War die Frage nicht rein hypothetisch?«
»Das ist perfekt!«
»Rebecca?«
»Vielen, vielen Dank!«
Rebecca ließ ihr Handy zuschnappen. Sie stieg aus dem Auto. Sie benutzte den Schlüssel, den Zimmer ihr gegeben hatte, und betrat das Mietlager über die Verladerampe. Die Lichter im quietschenden Aufzug flackerten und ließen Rebecca wünschen, sie hätte die Treppe genommen. Sobald die Tür sich öffnete, rannte sie, so schnell sie konnte. Als sie den Lagerraum Nummer 207 erreicht hatte, war sie ganz außer Atem. Sie steckte den Schlüssel ins Vorhängeschloss und drehte ihn. Sie legte die Stirn an die Tür und schloss die Augen.
Seit drei Jahren, seit Stewart sie verlassen hatte, lebte Rebecca in der Überzeugung, ihre Liebe zu Stewart habe ihr Leben ruiniert. Was sie auch tat, sie wurde diese Liebe nicht los. Sie wusste nicht, wie sie sich abtöten ließe. Sie hatte es mit Gleichgültigkeit versucht und mit Hingabe - vergeblich. Rebecca war der Überzeugung, das Gefühl habe überlebt, weil sie ihr Leben nicht verändert hatte und dieselben Momente wieder und wieder durchlebte, so als hätte die Zeit einen Schluckauf. Sie arbeitete im selben Labor, wohnte im selben Haus und fuhr dasselbe Auto wie an dem Tag, als Stewart verschwunden war. Und ihre
Liebe zu ihm hielt alle potenziellen Verehrer auf Abstand. Aber nun hatte sie die Lösung gefunden. Sie krampfte ihre Zehen zusammen. Sie holte dreimal tief Luft, und dann zog sie das Vorhängeschloss auf.
Drinnen suchte Rebecca nach den Kartons mit der Aufschrift Stewart . Sie hatte ihn auf viele kleine Kisten verteilt, die größtenteils in der dritten Reihe links vom Eingang standen. Rebecca fand einen Karton namens Stewart - nach der Scheidung . Der daneben hieß Stewart - Haus in der Water Street . Auf den drei Kartons darunter stand Stewart - Hochzeit . Sie fand eine Kiste mit Stewart - erste Wohnung und zwei weitere mit der Aufschrift Stewart - Kennenlernphase . Bald hatte sie alle beisammen.
Rebecca trug die Kartons aus dem Lagerraum und stellte sie auf dem Betonboden im Flur ab. Sie lief ins Erdgeschoss hinunter, um die Mülltonne zu holen. Mit dem Aufzug fuhr sie in den zweiten Stock zurück. Sie schob die Mülltonne bis zum Lagerraum 207 und begann, die Kartons hineinzuwerfen.
Selbst in voll beladenem Zustand war die Mülltonne leicht zu bewegen. Sie passte mühelos in den Aufzug. Rebecca fuhr ins Erdgeschoss hinunter und schob die Tonne über die Rampe in den Hinterhof und bis vor den Müllcontainer. Ohne zu zögern klappte sie den Müllcontainer auf und begann, die Kartons hineinzuwerfen. Manche landeten mit einem lauten Krachen, andere mit einem dumpfen Schlag. Rebecca fand beide Geräusche gleichermaßen befriedigend. Als der letzte Karton an der Reihe war, warf Rebecca ihn so hoch sie konnte, und sie schaute zu, wie er durch die Luft segelte und im Container aufschlug. Rebecca klappte den Containerdeckel zu und blieb andächtig stehen.
Auf den Schmerz in ihrer Brust musste sie nicht lange warten. Er war stechend und heftig. Rebecca krümmte sich und
brach zusammen. Sie zog die Knie an die Brust. Sie schmeckte Galle, ohne sich übergeben zu müssen. Der Schmerz ließ so unvermittelt nach, wie er gekommen war.
Rebecca stand auf, klopfte sich den Dreck von der Hose und ging zu ihrem Auto, ohne sich noch einmal zum Müllcontainer umzudrehen. Auf dem Nachhauseweg überwältigte sie die Müdigkeit. Während der zwanzigminütigen Autofahrt hatte sie zweimal das Bedürfnis, am Straßenrand zu halten. Sie musste aussteigen und ein bisschen herumlaufen, bevor sie
Weitere Kostenlose Bücher