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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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zu ihm sprach, auf und nieder bewegte wie die Volumenanzeige an einem Mischpult.
    »Du weißt ebenso gut wie ich, dass sie dich bitten muss zurückzukommen«, sagte die kleine blaue Flamme. Die Stimme klang freundlich und vetraut. »Und sie muss es in Worte fassen. Sie muss es laut aussprechen. Und es muss von Herzen kommen.«
    »Das wäre schön.«
    »Aber hat sie es jemals getan?«
    »Nein.«
    »Kein einziges Mal?«
    »Nein, kein einziges Mal.«
    »Dann ist wohl klar, dass du warten musst, bis sie es tut, oder?«
    Stewart wurde misstrauisch. »Worauf willst du hinaus?«
    »Ich meine, du könntest ja einfach zu ihr zurückgehen, aber wohin würde dich das bringen?«
    »Wieder an diesen Punkt.«
    »Tja, genau das meine ich auch. Du wirst warten müssen.«
    »Kann sein.«
    »Und während du wartest, könntest du etwas für mich tun. Es handelt sich um eine ehrenvolle Aufgabe. Um deinen ganz persönlichen Kreuzzug.«

    »Habe ich gerade eine spirituelle Vision?«
    »Nenn es, wie du willst.«
    »Was? Was soll ich für dich tun?«
    »Geh nach Westen.«
    »Und dann?«
    »Dann baust du vielleicht ein Boot.«
    »Vielleicht?«
    »Der Rest hängt von dir ab.«
    »Ach, komm!«
    »Tut mir leid, aber genauer kann ich mich im Moment nicht äußern«, sagte das blaue Flämmchen. Es wurde immer kleiner und verschwand.
    Stewart stand sekundenlang da, ohne zu bemerken, dass die Flammen plötzlich höher schlugen und heißer brannten und die weiße Vinylverkleidung der Hauswand schwarz einfärbten. Er kippte seinen Drink ins Feuer, woraufhin der Grill fast explodierte. Dann entdeckte er den Gartenschlauch.
    Am nächsten Morgen fuhr Stewart zum Baumarkt und kaufte ein fünf Meter langes Stück Vinylverkleidung. Nachdem er alle Instandsetzungsarbeiten erledigt hatte, fühlte er sich immer noch verkatert, rief aber trotzdem bei Rebecca an, um seine Rückkehr einzuleiten. Aber während sie telefonierten, konnte Stewart ihr Herz nicht spüren. Oder wenigstens spürte er keine Trauer, keinen Kummer, keinen Verlustschmerz bei ihr. Weder ihre Stimme noch ihr Herz baten ihn zurückzukommen.
    Stewart brach gen Westen auf, und mit Hilfe einer Mischung aus Glück und billigen Busticktes kam er bis nach Morris, Manitoba. Eigentlich hatte er im Prairie Embassy Hotel nur eine Nacht verbringen wollen, aber am nächsten Morgen bot Margaret ihm aus einer Laune heraus einen Job als Nachtportier an. Stewart sagte zu und unterschrieb einen Dreimonatsvertrag.
    Während seines ersten Monats an der Rezeption verbrachte
Stewart die langen, einsamen Nächte damit, sich zu fragen, ob das Flämmchen tatsächlich göttlichen Ursprungs gewesen war. Gelegentlich legte er kleinere, kontrollierte Brände, um sich Rat und Trost zu holen, manchmal auch aus reiner Langeweile. Es funktionierte nie, und langsam gewann Stewart den Eindruck, das blaue Flämmchen werde erst bei einem zufälligen Brand wieder zu ihm sprechen. Es erwies sich jedoch als äußerst schwierig, zufällig einen Brand zu legen.
    Jedenfalls fing er sechs Wochen nach seiner Ankunft in Morris mit dem Bootsbau an. Er war immer noch nicht sicher, ob die blaue Flamme von Gott befeuert worden war, wollte aber kein Risiko eingehen. Außerdem hatte er jede Menge Zeit. Die Geschäfte im Prairie Embassy Hotel liefen schleppend, und Stewart war ein Mann, der sich schnell langweilte. Außerdem hatte er sich ausgerechnet, dass er das Ding innerhalb von drei Monaten bauen könnte, vielleicht sogar noch schneller.

    Stewart und Margaret starrten zum Himmel, ohne sich zu bewegen und ohne zu sprechen. Die unzähligen Sterne hatten sie in eine Art Meditationszustand versetzt. Nach einer langen Weile fragte Margaret:
    »Was meinst du, wie metaphorisch dieses Boot ist?«
    Stewart stützte sich auf den linken Ellenbogen und sah sie an. Sie löste den Blick nicht vom Himmel. »Was willst du damit sagen?«, fragte er.
    »Darf ich ehrlich sein?«
    »Bitte sehr.«
    »Die Ehrlichkeit, die in dieser Sache gefordert ist, geht über das übliche Maß hinaus.«
    »Ich werde es dich wissen lassen, falls du zu weit gehst.«
    »Na schön«, sagte sie. Sie redete geradeheraus, wandte den Blick jedoch nicht vom Himmel ab. »Glaubst du, dieses Boot -
oder der Bootsbau - steht stellvertretend für deine Angst davor, Rebecca zu verlassen? Und zwar emotional, nicht bloß körperlich, was dir bis heute nicht gelungen ist.«
    Stewart antwortete nicht sofort. Er ließ die Spitzen seiner Arbeitsstiefel aneinandertippen. Er schaute am Mast

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