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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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Wassertropfen. Sie warf sich mit aller Kraft gegen den Stiel des Martiniglases und kippte es um, so dass alle Zahnstocher herausfielen. Lewis beobachtete, wie sie die Zahnstocher über den Tresen schob. Er erkannte nicht auf Anhieb, was sie schreiben wollte.

    Du musst

    »Ich muss was? Drück dich deutlicher aus. Du musst genauer werden. Was muss ich?«, fragte Lewis.
    Die Zahnstocher waren ein bisschen länger als sie. Es kostete ihn Mühe, ihr beim Schuften zuzusehen, aber er wollte sich nicht einmischen. Er fürchtete, sie könnte verschwinden, bevor sie ihre Nachricht überbracht hatte.
    Lewis beugte sich über den Tresen und schaute der Miniaturversion seiner Frau beim Buchstabieren zu. Sie schob die Zahnstocher hin und her. Schließlich hielt sie inne, trat einen Schritt zurück und sah zu ihm hoch. Sie war ganz offensichtlich erschöpft und hatte Folgendes geschrieben:

    Du musst sie töten.

    »Ah, Liebling, was willst du mir sagen? Was willst du mir damit sagen?«
    Im selben Moment spürte er, wie jemand an seinem Ärmel zupfte. Er erkannte die abgebissenen Fingernägel und den lila Nagellack. Er schaute wieder auf den Tresen, aber die Miniaturausgabe seiner Frau war verschwunden. Lewis riss sich von der Hand los und wischte die Zahnstocher vom Tresen. Er unterdrückte das Verlangen zu rennen und verließ den Palmengarten stattdessen mit langen Schritten.
    Er lief auf den Aufzug zu. Er warf einen Blick über die Schulter und musste feststellen, dass die Frau, die sich für Gott hielt, ihm folgte. Er ging schneller. Er erreichte die Aufzüge und schlug auf den Knopf. Alle vier Türen blieben geschlossen. Lewis drückte ein zweites Mal auf den Knopf, dann immer wieder. Die Aufzugtüren blieben geschlossen. Lisa kam immer näher. So gefasst wie möglich drehte Lewis sich um, trabte zur Drehtür und flüchtete aus dem Hotel.

    In der Nacht, als seine Frau starb, war Lewis vor dem Fernseher eingeschlafen und durch irgendetwas - er wusste selbst nicht, was - geweckt worden. Es war noch dunkel, ob spät am Abend oder früh am Morgen, konnte er nicht beurteilen. Er schaltete den Fernseher aus, und die plötzliche Stille flößte ihm Angst ein. Im Haus war es totenstill, so als sei der Strom abgestellt, und Lewis saß mitten in dieser Stille, die ihm gar nicht gefiel. Das Gefühl verstärkte sich, bis Lewis die Augen schloss und sich die Finger in die Ohren steckte. Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte, aber er zuckte zusammen, ohne die Finger aus den Ohren zu nehmen, als er die Hand seiner Frau auf seiner Schulter spürte.
    Das Haus, in das sie nach der Tournee zurückkamen, war kleiner als viele der Hotelzimmer, in denen sie übernachtet hatten. Als The Impostors waren sie in mittelgroßen Hallen in vierzehn Ländern aufgetreten, außerdem hatten sie an der Ostküste der USA acht Mal als Vorgruppe von The Voltage im Stadion gespielt. Lewis und Lisa waren sich einig darin, die Tournee als Erfolg zu bewerten, aber es gab einen großen Unterschied: Lewis sprach von der ersten, Lisa von der einzigen Tour. Sie wollte ein neues Projekt beginnen, wohingegen Lewis The Impostors als Gelegenheit betrachtete, die man nur einmal im Leben bekam und unbedingt ausnutzen sollte. Nun waren sie seit sechzehn Tagen wieder zu Hause, und die Spannung zwischen ihnen war langsam, aber stetig gestiegen.
    »Komm ins Bett«, sagte Lisa. Lewis zog die Finger aus den Ohren. »Komm ins Bett«, wiederholte sie.
    »Sicher?«
    »Klar.«
    Lewis stieg hinter ihr die Treppe hoch, ihre Hand locker in seiner. Sie stieg ins Bett. Lewis legte sich daneben, ohne sich vorher auszuziehen. Der Wecker auf dem Nachttisch tickte.
Das Ticken war beständig und gab Lewis ein Gefühl von Sicherheit.
    »Ich weiß irgendwie nicht weiter«, sagte er.
    »Ich weiß.«
    »Wir haben so viel Geld verdient. Wir sollten das wiederholen.«
    »Aber wir haben es nicht wegen des Geldes getan.«
    »Ich weiß.«
    »Eigentlich geht es dir nicht ums Geld, oder?«
    »Nein.«
    »Worum dann?«, fragte Lisa. Als er nichts sagte, begann sie zu warten. Sie dachte schon, er wäre eingeschlafen, als er plötzlich sagte:
    »Obwohl ich weiß, dass das Ganze nur eine Parodie ist, gefällt es mir immer noch besser als das, was ich wirklich bin. Ich habe Angst, wieder normal zu sein.«
    »Du hast Angst, wieder im Publikum zu stehen.«
    »Das ist eine sehr gute Formulierung.«
    »Warum hast du Angst davor?«
    »Keine Ahnung.«
    »Du solltest es herausfinden«, sagte sie. »Und du

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