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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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verschränkt hielt, malmte ihr Kiefer und bebten ihre Kiemen.
    »Ich muss gehen.«
    »Nein, musst du nicht!«, schrie Aby. Sie packte den Koffer ihrer Mutter, schwamm ins Wohnzimmer und stemmte ihn in die Höhe, so dass der Inhalt herausfiel. Die Kleider ihrer Mutter trieben durchs Wasser.
    »Ich muss gehen«, sagte Margaret.
    »Es ist nicht richtig. Du wirst dort sterben. Du wirst als Sála-Glorsol-Tinn enden!«
    »Das stimmt nicht.«
    »Und wenn doch?«
    Margaret antwortete nicht. Eins ihrer Kleider trieb vorbei, aber Margaret griff nicht danach. Sie drehte sich um, öffnete die Haustür und schwamm hinaus. Aby sah zu, wie die Tür sich schloss, und dann fiel ihr Blick auf den zweiten Koffer, der einsam im Flur stand.
    Aberystwyths Thrum endete mit dieser Erinnerung. Sie kam blinzelnd zu sich. Über ihr funkelten noch die Sterne, denn es war kaum mehr als eine halbe Minute vergangen. Sie bewegte
sich nicht, nicht einmal ihren Kopf. Obwohl das Thrum ihr vieles gezeigt hatte, war eine Frage unbeantwortet geblieben: War sie hier, um ihrer Mutter zu helfen oder sich selbst? Aby würde nicht mehr viel Zeit bleiben, darüber nachzudenken.

Dreißig
    Der große Sturm
    Anderson und Kenneth Richardson verbrachten drei Tage und zwei Nächte auf dem Dach des Prairie Embassy Hotels, immer in Erwartung der perfekten Wolke. Beide hatten die eine oder andere entdeckt, die ausgereicht hätte, aber sie ließen sie vorbeiziehen. Die Regenmacher spähten in verschiedene Himmelsrichtungen, das Fernglas vor den Augen. Kenneth beobachtete den Osten, Anderson den Westen. Dann kam aus dem Norden eine Wolke heran, die so groß war, dass sie ins Sichtfeld beider Männer geriet. Beide ließen das Fernglas sinken, um sie mit eigenen Augen zu sehen.
    Es handelte sich um eine Quellwolke, und ihre Ausmaße waren atemberaubend. Ihre flache Unterseite hing dicht über der Erde, kaum höher als einen halben Kilometer. Von dort aus türmte sie sich auf und durchbrach mühelos die Achtzehnkilometermarke. Ein weißer Bausch wölbte sich über den nächsten, höher und höher, wie bei einem plüschigen Atompilz; unmöglich, dass die Wolke in der Luft bleiben würde. Sie näherte sich dem Hotel wie von einem eigenen Willen gesteuert. Sie folgten der Wolke mit Blicken, bis sie ihren Schatten auf sie warf und die Sonne verdunkelte.
    Die Regenmacher erstarrten in einer nahezu religiösen Ehrfurcht. Es handelte sich um ein seltenes Wunder, das die meisten Leute kaum bemerkt, geschweige denn bestaunt hätten. Dann machten sie sich an die Arbeit. Kenneth steckte sich die
Finger in den Mund und pfiff. Wie aus dem Nichts tauchten die Stare auf und sammlten sich ringsum. Mit schnellen, geübten Handgriffen befestigte er Säckchen an den Vogelfüßen. Anderson, der seine Autobatterien bereits kreisförmig aufgestellt hatte, machte sich daran, die Kabel anzuschließen. Sechzehn statt der üblichen neun Kupferkabel verbanden den Drachen mit den negativen und positiven Batteriepolen. Als die Wolkenmitte genau über ihnen stand, schickte Kenneth die Stare los, die mit dem Gewicht des angehängten Silberiodids zu kämpfen hatten. Andersons Drachen stieg auf und tanzte im Wind.
    Die Vögel und der Drachen tauchten in exakt demselben Moment in die Wolke ein. Drei Sekunden lang herrschte absolute Stille, dann schoss ein blendend weißer Blitz aus der Wolke. Das dazugehörige Donnergrollen war so laut, dass beide Regenmacher sich die Ohren zuhalten mussten. Als sie nach oben schauten, die Hände immer noch über den Ohren, sahen sie, wie die Überreste des Drachens von einer plötzlichen Windbö davongetragen wurden. Dann fielen Stare vom Himmel. Zwischen Vater und Sohn landete ein toter Vogel nach dem anderen. Kurz darauf fielen die ersten Regentropfen.

Einunddreißig
    Eine abgeschwächte Form von Muttermord
    Abys Aufmerksamkeit wurde von dem grellen Blitz und dem ohrenbetäubenden Donner direkt über dem Prairie Embassy Hotel dermaßen in Anspruch genommen, dass sie erschreckt zusammenzuckte, als jemand an die Seitenscheibe klopfte. Zuerst bemerkte sie die Regentropfen, dann erkannte sie das Gesicht ihrer Mutter. Margaret verdrehte die Augen. Aby kurbelte das Fenster herunter.
    »Das hilft«, sagte Margaret. Sie hob die Hand, in der sie einen Stock hielt.
    »Wobei?«
    »Beim Gehen. Man benutzt es als drittes Bein. Um das Gleichgewicht zu halten.«
    Zu Demonstrationszwecken umrundete Margaret den gestohlenen Honda Civic und zeigte Aby, wie der Stock zwischen den

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