Nach dir die Sintflut
Neuanfänge?«
»Okay, lass es mich anders versuchen. Findest du es feige oder mutig, die Vergangenheit abzuschütteln und von vorn anzufangen?«
»Warum fragst du mich das?«
»Lenk nicht ab.«
»Nun ja, ganz offensichtlich halte ich es für mutig. Was glaubst du, was ich hier mache?«
Rebecca schwieg. Sie wusste, er war überzeugt, die Wahrheit zu sagen.
»Stewart«, sagte sie, »du bist wirklich eine große Hilfe.«
»Rebecca, bitte fang nicht wieder damit an. Sag mir, was los ist!«
»Stewart«, sagte Rebecca. »Mach’s gut.«
Sie klappte das Telefon zu, legte es auf den Küchentisch, ging zum Auto und fuhr direkt zu E. Z. Self Storage. Abgesehen von ein paar kurzen, seltenen Anfällen von Vergesslichkeit hatte sie ihr Handy seit etwas mehr als drei Jahren nicht mehr zu Hause gelassen.
Fünfundzwanzig
Der Abschluss ist nur der Anfang
Hinter der Rezeption des Prairie Embassy Hotels starrte Stewart noch eine Weile auf sein Handy, bevor er es auf den Tisch legte und beiseiteschob. Nachdem er eine Weile reglos dagesessen hatte, machte er sich daran, den Schreibtisch aufzuräumen. Er warf mehrere Wochen alte Zeitungen in den Papierkorb. Er legte Lesezeichen in die vier Romane, die er gleichzeitig las, und stapelte sie ordentlich und nach Größe sortiert auf. Er sammelte die Teller ein, trug sie in die Küche und warf die Essensreste in den Müll. Er spülte und trocknete jeden Teller von Hand ab und stellte das Geschirr in den Schrank, bevor er wieder an die Rezeption zurückkehrte.
Stewart setzte sich und betrachtete das Handy. Es klingelte nicht, und er beschloss, das Segelboot noch an diesem Abend zu Ende zu bauen. Monatelang hatte Stewart in gemächlichem Tempo gearbeitet, aber in Wahrheit gab es kaum noch etwas zu tun. Stewart ging zum Boot, kletterte an Bord, schaltete die Beleuchtung ein, griff zum Hammer und schlug die letzten Nägel in die Verkleidung der Innen- und Außenwände der Kabine. Anschließend trug er die letzte Imprägnierschicht auf den Bootsrumpf auf. Kurz vor Sonnenaufgang befestigte Stewart das Takel am Mast, hängte das Segel ein und zog es hoch.
Stewart nahm das Ruder in die Hand und schaute nach Steuerbord, wo am Horizont Lichter in Rot und Orange glühten. Er konnte nur noch an Rebecca denken. Seit drei Jahren
wartete er darauf, dass eine von zwei Möglichkeiten eintrat - dass Rebecca ihn bat, zu ihr zurückzukommen, oder dass sie Schluss machte und es so meinte. Nun, da sie sich für Letzteres entschieden hatte, wusste er nicht weiter. Er fühlte eine neue Freiheit, aber die war so groß, dass es beängstigend war. Vor allem fühlte er sich leer und traurig. Ein trockener Wind blies ihm ins Gesicht, und er hob den Kopf genau in dem Moment, als das Segel sich aufblähte. Aber das Boot blieb reglos auf der ausgedörrten Prärie liegen.
Sechsundzwanzig
Die körperliche Unmöglichkeit von Neuanfängen
Rebecca öffnete das Vorhängeschloss, nahm es ab und steckte es ein. Sie holte die Kartons aus Lagerraum 207 und stellte sie im Korridor ab. Als alle Kartons draußen standen, fing Rebecca an, sie chronologisch zu ordnen. Als sie fertig war, zog sich eine lange Kartonschlange durch den Flur und bis um die Ecke, nur um knapp einen Meter vor dem Aufzug zu enden.
Die Kartons direkt vor dem Lagerraum enthielten Rebeccas früheste Erinnerungen. In den am weitesten entfernten Kisten lagen ihre jüngsten. Nachdem Rebecca sich von der richtigen Reihenfolge überzeugt und hier und da noch ein paar Kartons vertauscht hatte, machte sie sich daran, den Aufzug zu beladen.
Rebecca blockierte die Türen mit Kartons und befüllte den Aufzug komplett, ohne Platz für sich zu lassen. Sie beugte sich hinein, schlug auf den Erdgeschossknopf, duckte sich aus den schließenden Türen und rannte die Treppe hinunter. Sie war noch vor dem Aufzug unten. Sie konnte den Rollwagen nicht finden und war deswegen gezwungen, jeden einzelnen Karton durch den Gang und nach draußen in den Hof zu tragen, wo sie ihn hochstemmte und in den Container warf.
Als sie den Fahrstuhl ausgeräumt hatte, stieg Rebecca ein, fuhr in den zweiten Stock hinauf und belud ihn ein zweites Mal. Sie wiederholte den Vorgang neun Mal, bis jeder einzelne Karton und jedes Erinnerungsstück, dass sie seit ihrem siebten Geburtstag aufbewahrt hatte, im Müllcontainer lag.
Rebecca griff in ihre Tasche und holte das Vorhängeschloss heraus. Sie warf es in den Container und klappte den Deckel zu, und fast im selben Moment setzte der
Weitere Kostenlose Bücher