Nach Hause schwimmen
zu ersparen, deren Verkaufschancen in dem rasenden Tempo schwanden, in dem ihre Körpergröße zunahm.
Den letzten Tagen vor der Schließung des Ladens hatte er bewusst keine Aufmerksamkeit geschenkt und fragte sich jetzt, ob es einen Räumungsverkauf, drei für zwei Kanarienvögel und Zierfische im Dutzend billiger gegeben hatte. Er hätte gerne gewusst, was aus den Hunden geworden war und aus der Schildkröte, die neben der Kasse in einem Glaskasten ihre Jahre abgesessen hatte, ein jämmerliches und ergreifendes Symbol für die Zähigkeit, mit der sich der Laden am Leben hielt, nur um irgendwann doch einzugehen.
»Wilbur, was meinst du, die hier raus?« fragte Alice und klopfte gegen eine Wand, an der ein Plakat mit Kanarienvögeln und Sittichen, deren Namen und Preisen hing.
Wilbur zuckte mit den Schultern, nickte dann und sah wieder auf die Straße. Am Morgen war ein Brief aus England in der Post gewesen. Norma Kennedy schrieb ihm, dass Matthew Fitzgerald im Jahr zuvor an einer Lungenentzündung gestorben sei. Nach seinem Tod war sie umgezogen und auf eine lange Reise durch Indien und Nepal gegangen und hatte Wilburs Brief erst nach ihrer Rückkehr vor ein paar Tagen erhalten. Matthew, schrieb sie, habe ihr oft von ihm erzählt und sich gefragt, wo er wohl sei und was er aus seinen Möglichkeiten und seinem Leben mache. Es tue ihr unendlich leid, dass sie ihm diese traurige Nachricht übermitteln müsse, und wenn er wolle, könne er irgendwann nach Dover kommen und das Cello holen, das Matthew ihm hinterlassen habe. Dem Brief lag eine Schwarzweißfotografie bei, auf der Matthewihm so heiter und lebendig entgegenblickte, dass Wilbur in Tränen ausgebrochen war.
Alice hatte er davon nichts erzählt. Sie hätte die Trauer um Matthew zu seinen anderen Problemen getan und ihn gebeten, alles vor ihr auszuschütten, damit sie es gemeinsam betrachten und bestimmen konnten. Vor ein paar Wochen hatte er ihr Geld aus der Handtasche genommen und dabei ein Taschenbuch über Jugendpsychologie gefunden, und er hatte keine Lust, Objekt ihrer angelesenen Missverständnisse zu werden.
Nach der Besichtigung des Ladens tranken sie in einem Restaurant in der Nähe einen Kaffee und redeten über Alices Erweiterungsvorhaben. Wilbur machte keinen Hehl daraus, dass er nichts davon hielt. Er vertrat den Standpunkt, Trevors und Clives Tradition fortzuführen sei Verpflichtung genug und ein zusätzlicher Laden nur mit finanziellen Risiken verbunden. Aber Alice plädierte für Veränderung und gegen Stillstand, als halte sie eine Rede vor Wirtschaftsvertretern. Sie wollte mit Ruth Cole das neue Geschäft auf die Beine stellen, eine eigene Modelinie entwerfen und noch mehr Strickerinnen beschäftigen. Sie redete von unerfüllten Träumen, von kreativen Möglichkeiten und davon, dass sie in ihrem Leben noch etwas anderes sehen wolle als ungeschälten Reis und Dörrpflaumen. Dann bot sie Wilbur an, die Geschäftsleitung des Reformkostladens zu übernehmen.
»Du wirst der Boss«, sagte sie und war versucht, Wilburs Hand über den Tisch hinweg zu berühren, ließ es dann aber bleiben. »Du kannst Leute einstellen. Und entlassen.« Sie lachte nervös und verlegen.
Wilbur sagte nichts. Der heftige Schauer war in feinen Nieselregen übergegangen. Vom gelben Neonlicht des Eingangs gefärbte Tropfen rannen in willkürlichen Bahnen über die Scheibe, Autos trieben summend auf Pfützen vorüber.
»Ich bin sicher, du schmeißt den Laden mit links«, sagte Alice nach einer Weile. »Ach, und weißt du, wer gerne mit dir arbeiten würde?« Sie wartete, obwohl ihr klar war, dass Wilbur nicht antworten würde. »Jenna. Du weißt schon, Hoffman? Sie kauft immer diesen Tee, diese Kräutermischung. Sie studiert, drittes Semester Politikwissenschaften.Im Sommer hat sie mich wegen eines Aushilfsjobs gefragt, aber da brauchten wir niemanden.« Alice rührte in ihrer Tasse, obwohl kaum noch Kaffee darin war. Sie sah sich nach dem Kellner um, aber der war im hinteren Teil des Lokals verschwunden, nachdem er die Bestellung gebracht hatte, und nicht mehr aufgetaucht.
Wilbur wusste, wer Jenna Hoffman war. Nur wenige Zentimeter größer als er, behandelte sie ihn, als ginge er auf die Highschool. Sie sah nicht besonders gut aus, zumindest nicht in Wilburs Augen, machte ihre mangelnde Attraktivität jedoch mit einem Selbstbewusstsein wett, das er für Arroganz und Alice offenbar für Pfiffigkeit hielt. Alice hatte immer wieder versucht, ihn mit Jenna zu
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