Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
aller Kartografen wurde stets die Antarktis: grotesk verzerrt, als unproportionierter Streifen am unteren Kartenrand – oder gleich ganz abgeschnitten. Auch als Dreh- und Angelpunkt der Plattentektonik fielen die Antarktis und ihre untermeerischen Lava-Gebirge deshalb nicht ins Auge. Das sei eine Frage der Perspektive, sagt der Geologe Helmut Echtler vom Geoforschungszentrum Potsdam ( GFZ ): Aufgrund seiner Randlage auf den Landkarten werde der Südkontinent schlicht zu wenig beachtet. Dabei waren alle nötigen Daten vorhanden. McCarthy benutzte eine Standardkarte der Geologie (Nuvel-1) mit Bewegungsrichtungen und Plattengeschwindigkeiten, wie sie per GPS -Messung ermittelt werden und jedem Forscher zur Verfügung stehen. Zwar bewegen sich die Platten in alle Richtungen. Doch McCarthy trug die Vektoren penibel in Tabellen ein – und fand heraus: In der Summe kennen die Erdplatten vor allem eine Route, nämlich nach Norden.
Die Erdplatten beschleunigen sich auf ihrem Weg, hat McCarthy ebenfalls berechnet. Ursache ist wiederum die Kugelform der Erde: Der nach Norden drängende Meeresboden habe viel Platz, er könne sich im Süden nahezu ungebremst bewegen, erklärt der Forscher. Im Lauf der letzten 200 Jahrmillionen wurden die meisten Kontinente so in die Nordhemisphäre geschoben. Dort herrscht nun großes Gedränge, vielerorts kollidieren Erdplatten. Eine Kollisionsfront zieht sich beispielsweise von Europa nach Ostasien, entlang derer sich Gebirge wie die Alpen und der Himalaja auftürmen. Wie Sporne schieben sich Landmassen – etwa Afrika und Indien – von Süden her in den eurasischen Kontinent. Die Kollisionen bremsen die Platten in der Nordhemisphäre. McCarthy hat errechnet: Je weiter nördlich des Äquators sie liegen, desto langsamer bewegen sie sich.
Seine Studie hat die Fachwelt überrascht. Die Arbeit zeige, dass sich die Bewegung der Erdplatten elegant mit Geometrie erklären lasse, sagt Onno Oncken, Experte für Plattentektonik am GFZ . Bislang wurden Plattenverschiebungen einzig anhand der gemessenen Bewegungen rekonstruiert. Möglicherweise erklärt McCarthys Geometriegesetz nun sogar das Werden und Vergehen der Kontinente. Denn im Lauf der Erdgeschichte vereinigten sich die Landmassen mehrfach zu einem Superkontinent. Warum das geschah, erschien lange rätselhaft. Der neuen Studie zufolge werden die Platten womöglich systematisch zusammengetrieben: Der letzte Superkontinent Pangäa – er umfasste vor 225 Millionen Jahren beinahe die gesamte Landmasse der Erde und lag teilweise auf der Südhalbkugel – zerfiel vor rund 200 Millionen Jahren. Aus einer Spalte entstand genau jener untermeerische Gebirgsring um die heutige Antarktis, dessen frische Lava die Erdplatten seither nach Norden treibt. In ferner Zukunft werden sich die heutigen Kontinente vermutlich im Norden vereinen, so der Geologe Wolfgang Frisch von der Universität Tübingen, Autor des Standardwerks Plattentektonik . Möglicherweise würde dann der nächste Kontinent-Zyklus beginnen, wenn sich nahe dem Nordpol ein gigantischer Lava-Ring auftäte. McCarthys Geometriegesetz folgend spekuliert Frisch: Die Erdplatten könnten dann wieder nach Süden driften – und im Norden entstünde ein riesiger neuer Ozean.
Die Verschiebung der Kontinente hat oftmals fatale Folgen: Erdbeben zerstören Städte, ja ganze Landstriche, immer wieder kommen dabei auf einen Schlag Tausende Menschen zu Tode. Seit mehr als 100 Jahren bemühen sich Forscher vergeblich darum, die Erschütterungen vorhersagen zu können. Das nächste Kapitel erzählt von der vielleicht größten Niederlage der Wissenschaft überhaupt: dem Scheitern der Erdbebenvorwarnung. Mal werden Tiere beobachtet, mal der Mond; und neuerdings setzen Geoforscher auf Tiefbohrungen – sie stoßen mitten hinein in Erdbebenspalten.
20 Vollmond. Vollmond. Beben?
Der Köter hätte den Forschern eine Warnung sein sollen. Am 18. November 1911 druckte die Wiener Tageszeitung Neue Freie Presse einen Artikel des Ingenieurs Arthur Schütz, in dem dieser einen Durchbruch in der Erdbebenvorhersage verkündete: Sein im Labor schlafender Grubenhund zeige eine halbe Stunde vor einem Erdbeben »auffällige Zeichen größter Unruhe«. Technische Begriffe wie »Varietät der Spannung«, »Zentrifugalregulator« und »Keilnut« verliehen dem Text Glaubwürdigkeit. Doch Schütz hatte die Öffentlichkeit hereingelegt, wie er am folgenden Tag schelmisch zugab. Die Pioniere der Erdbebenkunde ließen sich von ihm
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