Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
von Explosionen, die im Sommer 2002 in Bohrlöchern in den Ostalpen gezündet wurden. Die Wellen der Sprengungen durchliefen die Erdkruste, wurden an der »Moho« reflektiert und an der Oberfläche von Erdbebensensoren aufgezeichnet. Den im Rahmen des Projekts ALP 2002 gewonnenen Daten zufolge gehört der Untergrund Österreichs zu den am besten erkundeten der Welt. Bei der Auswertung derselben erlebten Behm und seine Kollegen eine Überraschung: Sie entdeckten rund 30 Kilometer unter Südösterreich eine bislang unbekannte Erdplatte – die »Pannonische Platte«. Die kleine Platte werde wie in einem Schraubstock zwischen zwei großen Platten, der Eurasischen und der Adriatischen, eingezwängt und nach Osten herausgequetscht.
Auch die Schweiz gehört – pro Quadratmeter gesehen – mit 4,2 Millionen Milliarden Tonnen zu den schwersten Ländern Europas. Im Norden des Landes liegt die Grenze zum Erdmantel aber nur 32 Kilometer tief. Dort gelegene Städte bringen entsprechend weniger auf die Waage: Zürich wiegt 7900 Milliarden, Bern 4900 Milliarden und Basel 1900 Milliarden Tonnen.
Die schwersten Länder überhaupt liegen jedoch in anderen Weltgegenden: Dort, wo nicht nur Berge die Erdkruste örtlich verdicken, sondern die »Moho« über Tausende Kilometer hinweg in mehr als 40 Kilometer Tiefe liegt. Am mächtigsten ist die Erdkruste der ältesten Kontinente, die vor rund drei Milliarden Jahren entstanden sind. Im Lauf der Zeit reicherte sich dort bei Erdplattenkollisionen und Vulkanausbrüchen am meisten Gestein an – etwa in Kanada, Australien und Skandinavien. Verglichen mit diesen Regionen ist Mitteleuropa ein Leichtgewicht.
Dass Länder schwerer und schwerer werden, liegt vor allem daran, dass sich Erdplatten zusammenschieben. Aber warum sind beinahe alle Kontinente im Lauf der Erdgeschichte auf die Nordhalbkugel gedriftet? Im nächsten Kapitel erklärt ein Geologe das Gedränge der Landmassen auf unserer Hemisphäre. Die Einsicht kam erst 2007, weil Wissenschaftler zu selten von unten auf den Globus schauen.
19 Die Entdeckung der Norddrift
Manche Fragen sind so gut und auch so simpel, dass gemeinhin nur Kinder sie stellen. So wunderte sich zum Beispiel kaum ein Wissenschaftler darüber, dass fast alle Kontinente auf der Nordhalbkugel der Erde liegen, während die südliche Hemisphäre überwiegend von Ozeanen bedeckt ist, obwohl das nun wirklich jedem Betrachter eines Globus ins Auge springen müsste.
Bislang hatten Geoforscher bloß läppische Plausibilitätsantworten parat: Die Drift der Erdplatten habe das Muster eben zufällig so geschaffen. Das klingt als Erklärung unbefriedigend, und ein Grund ist es schon lange nicht. Nicht ein berühmter Wissenschaftler, sondern ein einfacher Mitarbeiter eines Naturkundemuseums lieferte eine bessere Antwort: Die Ungleichverteilung liege in der Form der Erde selbst begründet – und in einer mächtigen, allzu offenkundigen Kraft, die Geoforscher bislang so übersehen hatten wie den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen. Dennis McCarthy vom Museum of Science in Buffalo im US-Bundesstaat New York entdeckte die Antwort, indem er den Globus aus ungewohnter Perspektive betrachtete: von unten.
Am Südpol des Planeten, Tausende Kilometer entfernt von anderen trockenen Flecken der Erde, liegt die Antarktis reglos da – ein Sonderfall unter allen Landmassen. Den Südkontinent umschließt ein drei Kilometer hoher Gebirgsring am Meeresgrund, der Mittelozeanische Rücken. Aus ihm quillt fortwährend Lava, sie härtet zu frischer Erdkruste. Aus der Tiefe nachdrängende Lava drückt die neue Kruste nach beiden Seiten weg. Die Antarktis selbst aber ruht, sie liegt innerhalb des untermeerischen Gebirgsrings, wo sich die Erdplatten gegenseitig blockieren. Der tektonische Druck wird gen Norden abgebaut. Dorthin bewegt sich der Meeresboden – rund um den Südkontinent werden die Erdplatten Richtung Äquator gedrückt.
Die Norddrift und die Form der Erde verursachen die Unterschiede zwischen Nord- und Südhalbkugel, hat McCarthy herausgefunden. Ebenso, wie Längengrade am Äquator weiter auseinanderliegen als nahe den Polen, streben auch die Platten auf dem Weg von der Antarktis nach Norden auseinander. Risse durchziehen deshalb die Ozeanböden der Südhalbkugel. Dort entsteht kontinuierlich neuer Meeresboden – die Ozeane des Südens vergrößern sich.
Die Kugelform der Erde soll als Erklärung dienen? Wie trivial! Doch Landkarten prägen Weltsichten. Zum ersten Opfer
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