Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
»überfahrenes Tier«, meinen selbst Paläontologen. Ein schlankes, nacktschneckenähnliches Geschöpf namens Pikaia gracilens indes flößt den Forschern mehr Ehrfurcht ein. Es soll eine primitive Wirbelsäule besessen haben und war somit wohl der Vorfahr aller Wirbeltiere – einschließlich des Menschen.
Hätte es je Menschen gegeben, wenn Pikaia gracilens sich während der Kambrischen Explosion nicht behauptet hätte? Nein, meinte Stephen Jay Gould. Die Entstehung des Menschen habe – wie die Evolution aller Lebewesen – vor allem vom Zufall abgehangen, schrieb er in seinem berühmten, 1989 erschienenen Buch Zufall Mensch . Er löste damit eine heftige Debatte über die Entwicklung des Lebens aus. Gould zufolge war die Entstehung der Arten weitgehend eine Lotterie. Würde das »Band des Lebens« bis in die Zeit des Burgess-Schiefers »zurückgespult und erneut gestartet«, schrieb er, wäre die Chance, dass sich wiederum menschliche Intelligenz entwickelte, »verschwindend gering«.
Gould hat dem Stammbaum des Lebens sozusagen neue Gestalt gegeben, erläutert Richard Fortey. Zuvor habe man sich die Evolution als »eine Art Busch« vorgestellt, der sich zur Seite und nach oben verzweigt. Die Vielfalt der Tierarten im Burgess-Schiefer indes bewog Gould zu dem Schluss, die Entwicklung des Lebens ähnele einem Baum, der unten breit ist und sich nach oben verjüngt. Das Leben sei eine »Geschichte des Sterbens«, gefolgt von der »Spezialisierung weniger Überlebender«, schrieb er. Andere Experten hingegen widersprachen: Katastrophen hätten keinen so großen Einfluss, die Evolution verlaufe gleichmäßiger.
Dieser Ansicht war auch Charles Doolittle Walcott gewesen. Die meisten Sommerurlaube bis zu seinem Tod 1927 verbrachte er am Burgess-Schiefer. Seine wissenschaftlichen Arbeiten füllten schließlich ein ganzes Bücherregal. Nach seinem Tod jedoch verschwanden die Burgess-Fossilien für 45 Jahre in den Schränken des Amerikanischen Museums für Naturgeschichte in Washington.
Erst in den 1970er-Jahren wagten sich die britischen Paläontologen Simon Conway Morris, Harry Whittington und Derek Briggs an eine Revision. Von da an wandelte sich Walcotts »Triumph zur Niederlage« – so beschrieb es jedenfalls Stephen Jay Gould. Bereits bei einer ersten Durchsicht der Sammlung wunderte sich Conway Morris: Walcott hatte die Fossilien aus dem Burgess-Schiefer sämtlich heute lebenden Arten zugeordnet. Doch Morris erkannte, dass die meisten frühzeitlichen Tiere keine modernen Nachfahren haben. Walcott hatte seine Funde »damit so falsch interpretiert, wie es überhaupt nur möglich war«, schrieb Gould. Die Lebewesen hätten sich nach Walcotts Ansicht einfach immer weiterentwickelt, »mit vorhersagbarer Zwangsläufigkeit«, lästerte er.
Zwar rüffelten andere Forscher Gould für seine Attacke, die neuen Interpretationen wichen weniger drastisch von denen Walcotts ab, als er behauptet hätte. Walcotts Irrtum aber war nicht zu übersehen. Als Simon Conway Morris mal wieder eine neue Fossilienkiste öffnete, soll er irgendwann sogar entkräftet geschimpft haben: »Verdammt, nicht schon wieder ein neuer Stamm!« Die Fehldeutungen schmälerten Walcotts Ruhm als einer der größten naturwissenschaftlichen Entdecker aber kaum. Seine Fundstätte am Burgess-Pass ist längst Teil des Weltnaturerbes der UNESCO . In der Umgebung haben Wissenschaftler inzwischen weitere Steinbrüche aufgemacht, wo sie bis heute nach Fossilien suchen. 150.000 Exemplare lagern allein im Royal Ontario Museum in Kanada. Und noch immer bringen Paläontologen mehr Fossilien aus dem Burgess-Gebiet, als überhaupt untersucht werden können.
Nicht nur die Erdgeschichte steckt noch immer voller Geheimnisse. Selbst manch grundlegende Eigenschaft des Planeten ist unbekannt – und sei es auch nur, weil noch niemand danach gefragt hat. Wie schwer sind eigentlich Großstädte und Länder? Ich habe Wissenschaftler die Gewichte von Regionen ausrechnen lassen. Im nächsten Kapitel steht, wo in Mitteleuropa die wahren Schwergewichte liegen.
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Deutschland wiegt 28.000.000.000.000.000 Tonnen
Die Kontinente der Erde wurden bis in den letzten Winkel vermessen: Größe, Höhe, Aufbau – alles ist bekannt. Ein Maß indes blieb unberücksichtigt: das Gewicht. Auf meine Anfrage hin haben Forscher berechnet, was Länder und Städte auf die Waage bringen.
Kontinente sind gewaltige Steinklötze, die größtenteils von einer dünnen Schicht Erde oder Sand überzogen
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