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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
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es neben mir, dieweil das Geknatter einem Tuckern und schließlich einem leisen Surren weicht. JasminCelineJustines Vater rollt auf seinem Mofa am Bordstein entlang und grinst.
    Ich kann mich nicht erinnern, dass er mich jemals mit meinem Vornamen angesprochen hätte. Der Tonfall, mit dem er das »Madame« ausspricht, hat etwas Doppelbödiges. Wie einen Teppich breitet er die höfliche Anrede über allerhand verächtliche Gedanken.
    »Bonjour, Monsieur Heidt«, gebe ich frech zurück und bemühe mich dabei, mein »Monsieur« mit einer ebenso zwiespältigen Klangfarbe auszustatten, wie er sein »Madame«.
    »Wolln Madame mitfahrn?«
    Hinter meiner Stirn entsteht eine Pro- und Contra-Liste, nach deren Durchsicht ich zu dem Ergebnis gelange, dass meine Eltern es höchstwahrscheinlich verbieten würden. An meiner Lust, mit helmlosem Kopf und wehenden Haaren Mofa zu fahren, ändert das freilich nichts. Elterliche Ermahnungen und der eben noch verspürte Ärger über das pseudo-schmeichelhafte »Madame« verpuffen im Nu.
    Begeistert nickend klettere ich auf den Gepäckträger. Schon knattern wir los. »Halt dich an mir fest«, werde ich von vorne angewiesen, was ich, in Ermangelung anderer Halteoptionen, brav befolge.
    Als ich die Arme um die fleckige Schlosserhose mit Latz schlinge, dringt eine Reihe ekelerregender Ausdünstungen in meine Nasenlöcher. Die säuerlich-scharfen Essenzen, die vor mir aus den Poren meines Fahrers quellen, scheinen das Destillat einer jahrzehntealten Mischung aus Tabak, Bier und Friteusenfett zu sein. Der Gedanke an eine Vollbremsung und den darauffolgenden unvermeidlichen Zusammenprall meines Gesichts mit diesem feuchten Rücken erzeugt Brechreiz. Um mich abzulenken, konzentriere ich mich auf die vorbeisausenden Gärten und Nachbarhäuser.
    Der Fahrtwind meint es gut mit mir und putzt mir die Nase. Es ist schön. Fast wie Fliegen. Ich stelle mir die Reifen als kleine, gummihäutige Akrobaten vor, die Abertausende Vorwärtsrollen aneinander reihen, um uns ans Ziel zu bringen. Vibration summt durch meinen Körper. Meinem Rücken wachsen zwei Jackenflügel. Ich, ein Käfer auf dem Heimflug. Ein Brummer, den die rückenversperrte Front nicht weiter stört, da ihm die Facettenaugen seitlich aus dem Schädel wachsen.
    Noch eine Kurve, dann sind wir auf der Zielgeraden. Unser Hausdach taucht auf. Durch die lichten Stellen unseres Gartenwäldchens aus Obst-, Nuss- und Nadelbäumen lugen Fenster und Wandweiß. Aber anstatt weiter geradeaus auf Haus, Hof und Baumbestand zuzuhalten, biegen wir links ab. »Muss noch Kippen holen«, knurrt es von vorne.
    »Sie können auch einfach hier halten, ich lauf’ den Rest!«, brülle ich Fahrtwind und Nackenschwarte entgegen.
    Ob ich gehört werde, ist schwer zu sagen. Gehalten wird jedenfalls nicht. Es folgen Fuchs- und Dachsstraße und schließlich das schlammgrüne Haus, in dessen Vorgarten der Zigarettenautomat steht. Ich steige ab und beobachte die, aus den Schlosserhosen hervorgezauberten, Fünfmarkstücke auf ihrem Weg zum Münzschlitz. Das klappernde Kleingeldgeklingel weckt den Automaten, der folgsam eine Anzahl Packungen ausspuckt. Um nicht ganz untätig zu sein, untersuche ich den in direkter Nachbarschaft ins ungemähte Gras gepflanzten Kaugummiautomaten nach eventuell vergessenen Kugeln. Der Sammelbehälter hinter der silbernen Klappe ist enttäuschend leer. Vergebens rüttle ich am Drehgriff.
    JasminCelineJustines Vaters hat sich unterdessen auf dem kleinen, schiefergrauen Gartenmäuerchen niedergelassen und eine Zigarette angesteckt. »Hier, Madame, kauf dir was!«, sagt er und drückt mir zwei warme, klebrige Zehnpfennigstücke in die Hand. Das Geld, sein Geld, zwischen meinen Fingern zu spüren, ist mir peinlich. Ich weiß ja, dass er eigentlich keins hat ⁠… Um die schäbigen Münzen auf schnellstem Weg wieder loszuwerden, füttere ich den Automaten, lasse zwei Handvoll grüne, gelbe und pinkfarbene Kaugummikugeln teils im Mund, teils in der Hosentasche verschwinden und bedanke mich kauend. Und jetzt? Sich die Taschen mit Süßkram vollzustopfen und daraufhin direkt abzuhauen, wäre zu unverschämt, zu unhöflich, zumal Herrn Heidts flache Hand nun einladend auf den Platz an seiner Seite deutet. Langsam und vorsichtig, als erwarte ich anstelle des Schiefers eine heiße Herdplatte, setze ich mich.
    »Du hast da was ⁠…« Eine Hand mit fünf schwarzen Halbmonden unter den Nägeln macht sich an meinen Haaren zu schaffen. Offenbar haben sich

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