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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
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ein paar Kastanienblätter ins Ebenholz meiner Strähnen verirrt.
    »Die JasminCelineJustine und du, ihr seid richtig dicke Freundinnen, hm?« Der fleischige Kamm kämmt unbeirrt weiter. Verdreckte Zinken streifen meine Schläfen und Wangen. Um dem lästigen Gestreichel zu entkommen, ziehe ich den Kopf wie eine Schildkröte zwischen die Schultern und beantworte die Frage mit einem kleinen, halslosen Nicken.
    »Und ihr erzählt euch alles, hm? Wirklich alles?«
    Achselzuckend betrachte ich meine Schuhspitzen.
    Die Schlosserhose rückt näher, berührt meinen Schenkel. Ein schwerer, warmer Arm kriecht über meinen Rücken und schlingt sich, gleich einer Würgeschlange, um meine Schultern, denen kein Zucken mehr gelingen mag. Sein Gesicht ist jetzt ganz nah. Die Nachbarschaft weicht einer Landschaft aus stoppeligen Bartfeldern, geplatzten Äderchen und gelblich beschlagenen Augäpfeln.
    »Aber du bist schlau, Madame, nicht? Du weißt, dass sie ganz gern mal lügt, ne?«
    Ich atme durch den Mund.
    »Oder glaubst du ihr, hm?« In seinen Mundwinkeln sammelt sich weißlicher Schaum. Feine Spuckefäden spannen sich zwischen Ober- und Unterlippe auf wie Spinnweben. »Die lügt doch, sobald sie’s Maul aufmacht ⁠…«
    Er fasst mein Kinn mit Daumen und Zeigefinger, fragt mich abermals, ob ich ihr glaube, ob ich mir Lügengeschichten erzählen lasse. Ich verneine.
    »Gut so. Gut so, Madame.« Sein Knöchel drückt sich fester in die Kuhle unterhalb meines Kiefers, sodass ich den Kopf in den Nacken legen und ihm den Hals wie ein Kätzchen entgegenstrecken muss. Ein daumendickes, letztes Fingerglied fährt mir, als wolle es mein Rot wie Lippenstift verwischen, über den Mund.
    »Hab ich mir gleich gedacht ⁠… Schön UND schlau.«
    Mit einer ruckartigen, heftigen Bewegung stoße ich Hände, Hose und Gestank von mir, springe von der Mauer und laufe los. Ich komme nicht weit. Schon nach wenigen Schritten tuckert und knattert es erneut neben mir. Nein, ich will nicht mitfahren, da kann er noch so oft fragen. Doch weder mein beleidigtes Schweigen, noch mein demonstrativ abgewandter Blick hindern ihn daran, mich im Schritttempo bis vor die Haustür zu begleiten. Mit scheinheiliger Stimme fragt er nach Schule, Lehrern und Eltern, als hätte es das bizarre Verhör von vorhin nie gegeben. »… was macht das Klavierspiel, Madame von Braun?«
    Er löst die Hände vom Lenker und lässt seine Pranken Luftpiano spielen, wobei das Vorderrad aus der Spur gerät und das Mofa gefährlich ins Schlingern. Mit weit aufgerissenen, erschrockenen Augen schnappt er nach den Haltegriffen der Metallgabel, versucht verbissen, die Gewalt über das Mofa zurückzugewinnen und einen Sturz zu verhindern.
    Ich muss lachen.
    Seine Ungeschicklichkeit und die clowneske Mofa-Nummer stimmen mich fast versöhnlich, sodass ich ihm schließlich doch ein paar knappe Antworten hinwerfe. Als wir uns verabschieden, bemerke ich eine kleine Bewegung. Hinter JasminCelineJustines Fenster bewegt sich der Vorhang.
    Noch bevor ich den Schlüssel ins Schloss stecken kann, erreicht eine keuchende JasminCelineJustine den Treppenabsatz. Ihr Gesicht ist kreidebleich. Schweratmend nimmt sie meine Rechte in beide Hände. »Was ⁠… was wollte er von dir?«
    Das ängstliche Zittern ihrer Stimme, die bebende, weinerliche Unterlippe – ich will das alles nicht mehr sehen.
    »Nichts. Gar nichts wollte er.« Verhört worden bin ich heute zur Genüge. Ich schließe auf.
    Mit einer Lüge, die auf »keine Zeit« endet, wimmle ich die Fragestellerin ab. Dann mache ich die Tür hinter mir zu.
    43.
    Durch das kleine, quadratische Türfenster sieht sie den Rücken der Freundin in den Tiefen des Hauses verschwinden. Den Blick fest an ihren dunklen Hinterkopf geheftet, begleitet sie LottaLuisaLuzia das kurze Stück durch den Windfang, erhascht einen Zipfel Garderobe. Dann schließt sich auch diese Tür.
    Ihr Finger schwebt zitternd vor dem Klingelknopf. Doch der Moment der Unentschlossenheit verfliegt schnell. Mit einem Mal entweicht alle Kraft. Arm wie Finger erschlaffen und fallen seitlich ab. Ein letztes verzagtes Aufklatschen der Hand gegen den Oberschenkel, dann lautloses, mutloses Baumeln. Das »Nein« war zu deutlich.
    Sie will nichts riskieren.
    In Zeitlupentempo macht sie sich an den Treppenabstieg, stellt beide Füße auf die Stufen, wie es kleine Kinder tun.
    Aus dem oberen Stockwerk klingen indessen vertraute Melodien: Das sind die Hände der Blutsschwester. Vor wenigen Minuten

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