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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
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Lider, verschmälert die Augen.
    »Und dann?«
    »Na ja ⁠… Er ⁠… ich ⁠… ich bin so was wie seine Freundin, aber nicht richtig ⁠…«
    »Wie meinst du das?«
    »Er will es so ⁠…Nur er ⁠… zwingt mich dazu, verstehst du?«
    »Zwingt dich zu was?«
    Es entsteht eine kleine Pause. Meine Frage gleicht einer Nadel, deren silberglänzende Spitze sich einem zum Bersten gefüllten Ballon voller Antworten bis auf Haaresbreite genähert hat. Ich fühle, wie sich der Abstand zwischen uns vergrößert. Ihr Zurückweichen verhindert den Knall, erspart uns den Schrecken. Als sie antwortet, hat ihre Stimme alle Unsicherheit abgestreift.
    »Er hat mich mit in die Kneipe genommen. Du weißt schon, die am Dorfplatz. Alles war voller Männer. Nicht mal die Bedienung war da, nur der Wirt. Unglaublich laut war’s und gestunken hat’s, nach Bier und Schweiß und Zigaretten. Mein Bruder war auch da. Stand mit seinen Kumpels bei den Flipperautomaten. Ich hab ihn genau erkannt ⁠…«
    »Und er? Hat er nichts gesagt, als du da einfach so reinspaziert bist?« Unbändige Neugier besiegt all meine Zweifel. Ich will die Geschichte hören.
    »Nein! Er war viel zu betrunken, genau wie alle anderen ⁠… Der Master hat mich vor sich her durch die Gaststube geschubst. Hinten, wo die Klos sind, hat er mir dann so eine Art Badeanzug vor die Füße geworfen und gesagt, dass ich das anziehen soll ⁠…«
    »Was war das für’n Badeanzug? Wie sah der aus?«
    »Er war weiß und ⁠…«
    »Durchsichtig?«
    »Ja, fast komplett durchsichtig, mit ganz tiefem Ausschnitt, fast bis zum Bauchnabel.«
    »Und hinten?«
    »Ging er in’n Arsch rein. Du weißt schon, so, dass man die Pobacken sieht.«
    Mein Hunger ist wie weggefegt. Gierig lauere ich in der Nähe ihres Mundes und fange Worte wie Frösche Fliegen.
    »Wie ging’s weiter?«
    »Na ja, zuerst hab ich mich geweigert, da hat er mich geohrfeigt. Mir wurde ganz schwarz. Ich bin gestolpert ⁠… Vielleicht war ich kurz ohnmächtig, keine Ahnung, jedenfalls muss ich hingefallen sein. Da, schau ⁠…«
    Sie streicht sich den dichten Pony aus der Stirn und präsentiert mir die Reste einer Schürfwunde.
    »Danach hab ich den Mund gehalten. Er ist die ganze Zeit daneben gestanden, hat mich beim Umziehen beobachtet. Dann hat er mich am Arm gepackt und zurück in die Gaststube geschleift ⁠…⁠«
    »Zu den Männern?«
    »Zu den Männern. Die haben natürlich gejohlt und geschrien und mich betatscht und plötzlich, plötzlich wollten alle, dass ich für sie tanze ⁠… Mir blieb nichts anderes übrig.«
    JasminCelineJustine tanzte eine ganze Weile in der von staubigen Butzenscheiben verdüsterten Stube. Dickfingrige, schmierige Männerhände hinterließen runde Abdrücke auf ihrer nackten Haut. Master Bison wollte es so. Die Angst vor den Schlägen des Masters und die, der Bruder könne sich zum Kreis der Männer gesellen und ihr Gesicht erkennen, hielten sich die Waage.
    Als ich schließlich zu Hause ankomme, noch immer im Zustand höchster Erregung, die Wangen so rot, als hätte ich selbst getanzt, ist die »Tagesschau« längst vorbei. Mir schwirrt der Kopf. Die vorwurfsvollen Fragen meiner Mutter gesellen sich zu Tausend anderen. Dann kehrt der Wolf in meinen Bauch zurück. Dankbar stürze ich mich auf mein kaltes Abendessen. Sogleich verstummen die Fragen. Ich höre nichts mehr, bin Kauen und Schlucken. Fleisch und Gemüse sind meine Wahrheit.
    42.
    Ich bin am Sportplatz, habe also noch ein gutes Stück Weg vor mir. Zwischen Gehweg und Fußballfeld wächst eine Reihe dicker Kastanien, deren Laub und Früchte den Platzwart in den Wahnsinn treiben. Man sieht ihn beinahe täglich. Unermüdlich arbeitet er sich mit seinem Rechen die Seitenlinie entlang, ein kleiner, krummer, fluchender Sisyphos. Eine braunrote, auf Hochglanz polierte Kastanienschönheit schmeichelt meiner Handfläche. Mit den Schuhspitzen treibe ich ein paar mangelhafte Exemplare, deren Schalen bereits erste Risse aufweisen, vor mir her. Verlassene, stachelige Gehäuse rollen über den Gehweg wie Steppenläufer. Brauner, modriger Blätterglitsch überzieht das Grau. Stellenweise bilden sich raschelnde Haufen. Ich presche voran, verschrecke das Laub. Blattleichen stieben auf wie Taubenschwärme. Über mir betrauern entblößte Kronen den Verlust ihres grünen Goldes.
    Soeben habe ich die letzte Kastanie hinter mir gelassen, als in meinem Rücken ein vertrautes Geknatter laut wird.
    »Hallo, Madame von Braun!«, tönt

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