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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
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Nichtschwimmerbecken nur noch ein kümmerlicher Rest. Den wollte niemand, denn im knietiefen Wasser trieben zwei Tote. Niemand holte sie heraus. Man tat, als sähe man sie nicht, und schöpfte aus dem Schwimmerbecken ⁠…«
    Ich lehne mich vor und strecke das Gesicht in den Sonnenfleck, der warm durchs Fenster fällt. Der Himmel draußen hat genau die richtige Freibadbläue. Wie in einer Schneekugel sitzt das Schulgebäude, grau und klotzig, unter seinem hohen, gewölbten Dach. Ich muss an meine Mutter denken. Daran, wie sie den Wespen, Spinnen und allerlei anderem Ungeziefer, das sich zuweilen ins Haus verirrt, behutsam eine Tasse oder ein Glas überstülpt, um sie lebendig ins Freie entlassen zu können. Genauso hat es Gott gemacht. Der Blick nach oben ist der Blick in den Tassenboden seines Porzellans, in welchem die Reste seines tiefdunklen und göttlich blauen Kaffees kleben. Er trinkt ihn mit einem Hauch Wolkenschaum ⁠…
    Leise klopfe ich mit dem Füller auf der Tischplatte herum. Drei, vier hauchzarte Klopfzeichen reichen aus, um die Aufmerksamkeit des Ägypters von der Tafel in meine Richtung umzulenken. Ich mache eine Kopfbewegung zum Fenster hin, setze ein fragendes Gesicht auf und lasse meine Hände kleine, kreisförmige Schwimmbewegungen andeuten. Er antwortet mit einem Nicken. Seine Lippen formen lautlos das Wort »definitiv«. Das Pfingstferienlager des Jugendsymphonieorchesters hat sein Verhältnis zu Chlorwasser und Freibädern grundlegend verändert. Sein bis dahin nur in Ausnahmefällen gebrochener Schwur, ausschließlich in natürlichen Gewässern zu baden, hat seit jener Ferienwoche keine Gültigkeit mehr.
    Solche merkwürdigen Schwüre sind typisch für den Ägypter. Dass er einen davon bricht, gleicht dagegen einer Sensation!
    Schon jetzt, knappe zehn Tage später, erscheint mir diese wunderbare Woche unendlich weit entfernt. Unerreichbar, mehr Traum als Realität, schillert sie in der Vergangenheit vor sich hin.
    Von vorne wird der Befehl erteilt, Übung drei auf Seite 116 in Angriff zu nehmen. Seufzend stütze ich das Kinn auf und erinnere mich an bessere Zeiten.
    45.
    Mit weit ausgebreiteten Armen stehe ich auf der höchsten Plattform des Sprungturms, die Zehen fest an ihr bordsteindickes Ende gekrallt. Der Wind umschmeichelt mich wie eine Katze. Er kommt von weit her, ist von steilen, schneebedeckten Gipfeln über dichtbewaldete Hänge bis in die Kronen der immergrünen Magnolienbäume gerutscht, um seine Flügel im betörenden Duft ihrer weiß-rosa Blüten zu baden.
    Ich bin ein Gipfelkreuz, fünf Meter über dem Beckenspiegel, Teil der Bergwelt, deren scharfkantiges Panorama den zartblauen Himmel piesackt. Alles scheint zum Greifen nah. Aus fünf werden tausend, werden zweitausend Meter, und dem Tessin erwächst ein neuer Monte. »Ich taufe dich auf den Namen ›Monte di Sprungturm‹«, murmle ich, noch immer verblüfft von dem Schwindelgefühl, welches mich beim Anblick der majestätischen alpinen Landschaft überfällt.
    In der trockenen, glasklaren Luft präsentieren Granitfelsen ihren komplizierten Schliff. Graue, leuchtend weiße und blau verschattete Flächen prallen aufeinander und verschmelzen zu einem massiven, in seiner Präsenz alles überstrahlenden, Ganzen.
    Ich bin schon fast trocken. Nur der Stoff meines feuchten Badeanzugs schimmert noch immer wie eine Schlangenhaut.
    Für einen idealen Sprung muss man Geduld haben; warten, bis sich die Oberfläche des blauen Rechtecks vollständig glättet und auch der letzte Badegast am Beckenrand bemerkt, dass du oben stehst.
    Ein letztes Mal atmen, dann drücke ich mich ab. Für Sekundenbruchteile schwebe ich wie eine Schwalbe mit ausgebreiteten Schwingen auf Höhe der Plattform, dann saugt mich die Erde an. Rechter und linker Arm nähern sich auf bogenförmigen Bahnen und treffen in jenem Moment über meinem Kopf zusammen, da die Linie meines Körpers senkrecht auf die Wasserfläche zustürzt. Dann ohrfeigt mich die Nässe. Ich tauche ein und ab.
    Plötzlich herrscht Stille. Ich treibe inmitten eines starren Netzes aus Fugen. Schweigend liegen die Kacheln und leihen dem Wasser ihre typische, gletschereisbonbon-blaue Farbe. Der Weg nach oben ist weiter als gedacht, doch schließlich entlässt mich das Becken und gebiert meinen Kopf. Hell begrüßt mich das Licht, küsst mir die Wangen. Dankbar öffne ich Mund und Nase und fülle meine Lungen mit Luft, die nach Chlor und Sonnencreme schmeckt. Am Beckenrand angekommen bemühe ich

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