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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Man wusste ja nicht, ob man jemals wieder nach Hause kommt. Fliehen hatte auch keinen Zweck. Ich weiß nur von einem, ein Sudetendeutscher, der es bis nach Hause geschafft hat. Der hat uns eine Karte geschrieben. Wenn sie einen Flüchtenden wieder eingefangen hatten, wurde er der Lagerbewachung übergeben, und die hat ihn halb totgeschlagen.
     
    Dem Vater einer meiner Gesprächspartnerinnen ist es so ergangen, er war im »Knüppelgang«.
    Das war furchtbar. Das habe ich selbst einmal gesehen. – Ich habe mir die ganze Zeit gesagt, du musst überleben, du musst sehen, wie du durchkommst. Ich glaube, ich habe sehr günstige Wege gefunden und auch viel Glück gehabt, so dass es mir besser ergangen |105| ist als 95 Prozent der anderen. Wer 1949 noch in Russland war, der war auch kräftig und gesund. Auf der Baustelle arbeiteten viele Studentinnen von einer benachbarten Hochschule. Die Mädchen waren ganz scharf auf die gut aussehenden jungen Deutschen. Da gab es manche Freundschaft. Das gehörte auch mit zu unseren Erlebnissen.
     
    Wie groß war die Unsicherheit in der Frage, ob und wann Sie entlassen würden?
    Es war uns versprochen worden, wir würden Ende 48 repatriiert. Aber es geschah nichts. Anfang Januar war in der Prawda zu lesen, die Westalliierten hätten auf ein bestimmtes Abkommen zur Freilassung der Kriegsgefangenen hingewiesen. Die Sowjetunion hat sich auf Transportschwierigkeiten berufen. Was aber unsere Lage verschlimmerte: 1949 fing die Suche nach Kriegsverbrechern unter den Gefangenen an, und zwar nach einem sehr groben Raster. Wenn man zum Beispiel 1941 bei einer Division war, die 1943 an Kriegsverbrechen beteiligt war, gehörte man automatisch zu den Verdächtigen. In unserem Lager wurden im Keller Arrestzellen eingerichtet und es kam zu Verhören. Es war eine furchtbare, verzweifelte Stimmung. Diejenigen, die pauschal als Kriegsverbrecher eingestuft wurden, mussten gewöhnlich tagsüber noch arbeiten und wurden am Abend mit Lastwagen abgeholt. Wer abgeholt wurde, stand auf der Liste vermerkt, die ich als Arbeitsingenieur bekam und verlesen musste. Voll Spannung habe ich sofort nachgeschaut, ob ich auch auf der Liste vermerkt bin. Die sogenannten Kriegsverbrecher wurden später zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Das waren die 10   000, die 1955 von Adenauer heimgeholt wurden.
     
    Wann wurde Ihr Lager in Moskau aufgelöst?
    Ende September 1949. Plötzlich musste alles ganz schnell gehen. Es kam dann am Bahnhof zu herzzerreißenden Abschiedsszenen, zwischen den Deutschen und ihren Freundinnen. Ich hatte nicht |106| einmal mehr die Zeit, mein Geld auszugeben, ein paar hundert Rubel. Die habe ich dann, kurz bevor wir in Brest-Litowsk die Sowjetunion definitiv verließen, einem Landsmann gegeben, der noch dort bleiben musste.
     
    Sie sind als 17-Jähriger losgegangen und als 25-Jähriger zurückgekommen. Sie sind als Jugendlicher aufgebrochen und als Erwachsener mit viel schlechter, aber auch verantwortungsvoller Erfahrung heimgekehrt.
    Diese Erfahrungen habe ich nie vergessen. Ich habe immer gesagt: Mir kann nichts mehr passieren. Ganz egal, was kommt, ich werde mit allem fertig werden. Ich war Gott sei Dank gesund. Anfang Oktober 1949 kam ich nach Hause.
    Schon drei Wochen später begann in Göttingen das erste Semester.
     
    Was war Ihr größter Wunsch auf dem Weg nach Hause?
    Ein richtiges Bett! Neun Jahre hatte ich kein richtiges Bett gehabt. Neun Jahre war ich nicht auf einem WC gewesen.
     
    Sie haben später nie Camping gemacht, oder?
    Doch, einmal. Ich bin mit Freunden in Holland gesegelt. Da musste man eine öffentliche Wasch- und Toilettenanlage benutzen. Eine solche Gemeinschaftseinrichtung war nichts mehr für mich.
     
    Würden Sie sagen, dass Sie in dieser Zeit, in der Sie so schnell erwachsen werden mussten, etwas unwiederbringlich verloren haben? Oder würden Sie sagen, Sie sind unbeschadet durchgekommen?
    Im Wesentlichen bin ich gut durchgekommen. Ich hatte den Wunsch, diese verlorene Zeit möglichst schnell aufzuholen. Nach drei Jahren war ich schon Diplomkaufmann. Insofern kann ich nicht sagen, dass es da Belastungen oder Beschädigungen gab.
     
    |107|
Hatten Sie eine Zeitlang schlimme Träume?
    Ja, Horrorträume. Jahrzehntelang habe ich geträumt, ich sei wieder in Gefangenschaft und wüsste nicht, wann ich nach Hause käme.
     
    Gab es Menschen, die sagten, früher warst du anders?
    Ich hatte zu denjenigen, die ich aus meiner Schulzeit kannte, kaum mehr Kontakt. Die

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