Nachkriegskinder
wir sollten entlassen werden.
Wie lange waren Sie in Gefangenschaft?
Nicht lange, etwa ein Dreivierteljahr. Als ich da raus kam, war ich stark. Heute bin ich auch noch stark. Als Koch oder Metzger gab es keine Arbeit. Aber ich war jemand, der Säcke schleppen konnte: Mehl, Briketts, Zucker, Zwei-Zentner-Säcke. Die anderen Männer waren meistens zu schwach. Natürlich hab ich mich selbst versorgt – ich hatte ja auch eine Familie, die leben musste. Ich habe einiges für mich behalten und gegen Zigaretten getauscht. Mein Glück war, dass ich nicht rauchte. Zigaretten waren Gold wert auf dem Schwarzmarkt. Später arbeitete ich in einer Metzgerei, und natürlich wurde dort schwarzgeschlachtet. Es mussten ja die Herren auf dem Amt, bei der Polizei und so weiter gut essen. Aber einmal hatte ich Pech. Ich wurde beim Schwarzschlachten erwischt und musste ins Kitchen. Vorher hatte ich gesagt: Wenn ich ins Kitchen muss, sorgt dafür, dass ich wieder rauskomme – die Herren kriegen sonst nichts Anständiges zu essen. Na, diese Herren haben dann alles drangesetzt, dass ich wieder |145| frei kam. Danach habe ich aber nicht mehr schwarzgeschlachtet. Und das war’s. Mehr gibt es nicht zu sagen zum Krieg und zu der Zeit danach. Es gäbe wohl noch vieles, aber es fällt mir jetzt nicht ein. Das ist ja alles schon so lange her.
Wann haben Sie geheiratet, im Krieg?
Nein, vor dem Krieg. Die Tochter wurde vor dem Krieg geboren und der Sohn nach dem Krieg.
Als Ihre Frau starb, waren da Ihre Kinder noch klein?
Nein, die waren schon erwachsen.
Und dann haben Sie ja ein zweites Mal geheiratet. Kamen wieder Kinder?
Nein. Also, beide Frauen sind an Krebs gestorben. Ich bin schon lange allein.
Kommen wir noch mal auf den Krieg zurück. Damals sind Sie ja weit gereist. Ich zähle mal zusammen: Frankreich, Jugoslawien, Russland, Normandie, Hürtgenwald. Sind Sie, obwohl Sie Koch waren, in Kampfhandlungen verwickelt gewesen?
Nein. Natürlich mussten wir manchmal abhauen. Da war der Russe, der wollte uns einkesseln. Wir waren ein paar Mal eingekesselt, aber wir kamen da wieder raus. Ich hatte ein Gewehr, das steckte hinter einem Riesenberg von Lebensmitteln, also, selbst wenn ich gewollt hätte, da kam ich gar nicht dran. Ich hab keinen tot gemacht – das kann ich sagen.
Was haben Sie, der hinter der Front arbeitete, von Verbrechen der SS mitbekommen, die ja hinter der Front verübt wurden?
Da möchte ich nicht drüber sprechen. Ich weiß vieles, aber darüber möchte ich nicht reden.
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Haben Sie mit anderen Menschen darüber geredet?
Nein auch nicht. Das ist – weg. Was die gemacht haben, das war nicht schön, aber ich möchte nicht drüber sprechen.
Haben Sie den Eindruck, dass Sie nach dem Krieg anders waren als vor dem Krieg?
Nein. Das kann ich Ihnen genau sagen. Mein Bestreben war nur: Wie komme ich weiter. Ich hatte ja Familie, für die ich sorgen musste.
Wenn man so lange im Krieg war, verändert sich da der Charakter?
Bei mir nicht. Nein. Und wie Sie schon erwähnen: Diese Sachen der SS, dazu möchte ich nichts sagen.
Mein Vater ist ungefähr Ihr Jahrgang, und er hat oft gesagt: Menschen sind zu so schlimmen, zu so ungeheuerlichen Dingen fähig, das kann man sich auch mit größter Fantasie nicht vorstellen. Und ich habe mich oft gefragt, ob er, bevor er das erlebt hat, also vor der NS-Zeit, anders war als nach Kriegsende.
Ja, ja … Das war bei mir nicht der Fall. Ich war – auf Deutsch gesagt – ein Streber. Und ich musste sehen, dass mir nichts passiert – und fertig! Ich habe auch viel gebetet.
Glauben Sie, dass Gott so etwas verzeiht?
(nach einer Pause) Das weiß ich nicht. Früher war mein Religiös-Sein nicht so stark, heute ist es stärker. Aber ich habe auch im Krieg gebetet. Das Schlimmste war in Russland Weihnachten. Da kriegten wir nachts von den Russen Geschenke: Rättätättätt …
Sie waren ja in Deutschland, als der Krieg noch nicht vorbei war. Haben Sie zivile Luftangriffe mitbekommen?
Ja, in Düren an der Westfront. Wir waren ja mit der Küche in einer Schule. Nachts bei einem Bombenangriff sind wir runter in |147| den Keller, das ganze Gebäude hat geschwankt. Aber es ist alles gut gegangen. Das war mein schwerster Luftangriff.
Von Düren ist durch die Bomben nicht viel übrig geblieben.
Stimmt. Aber das Schlimmste war die Schlacht im Hürtgenwald. Nach dem Krieg haben die Kameraden unserer Abteilung dort ein Kirchenfenster
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