Nachkriegskinder
einem älteren Herrn noch weit entfernt.
Über den Hamburger Diplomsoziologen, der sein Geld als Berater und Coach verdient, muss man wissen: Er ist ein Kämpfertyp. Auf seiner Webseite steht, er sei spezialisiert auf Konflikte und Krisen sowie schwierig und aussichtslos erscheinende Situationen; man erfährt auch von seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als |156| Richter. Brenner verweist auf den Geist des »Never give up«. Ein Erbe seines Vaters, verrät er mir, sein Vater sei ein Querkopf gewesen, er selbst sei es auch. »Ich musste sehr früh erwachsen werden, ich musste sehr kämpfen, um zu überleben, und das verdanke ich meinem Vater, im Positiven wie im Negativen.« Seine erste und einzige Ehe, erfahre ich, werde gerade geschieden. Schwierige Zeiten lägen hinter ihm, auch mit gesundheitlichen Problemen, doch dies sei nun alles ausgestanden. Brenner sieht sich als jemanden, der immer wieder auf der Gewinnerseite landen wird. Im Kontrast dazu der Titel seines Buchs, »Kinder der Verlierer«. Wie es dazu kam, liest sich wie ein Bekenntnis.
Im Land der Verlierer
Mein Vater gehörte zu den Besiegten und ich bin im Land der Verlierer geboren. Nachkriegsdeutschland war kein besonders schöner Ort für eine Kindheit und mein erstes Lebensjahrzehnt erinnere ich als wenig glücklich. Seit langem sind mir die Reste meiner Familie gleichgültig. Viele Jahre habe ich kaum an Kindheit und Jugend gedacht, schon gar nicht an meinen Vater. Das Leben ist wie es ist und ich war froh über Abstand und Vergessen. Aber meine Vergangenheit sollte mich einholen. Ich war ein wenig an der Jugendrevolte der späten sechziger Jahre beteiligt und wurde eher zufällig im Winter 2005 als Zeitzeuge befragt. Es war ein langes und spannendes Gespräch. Keine Kindheit ohne Eltern, keine Jugend ohne Kindheit, kein Leben ohne Vaterland. Einige Monate später fange ich an, zu schreiben. Es wird eine lange Reise zurück. Gefühlt sind Lichtjahre vergangen, objektiv nur wenige Jahrzehnte. 19
|157| Warum schreiben Menschen Bücher? Als der Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez einmal nach seinem Antrieb gefragt wurde, bekannte er: »Damit man mich mehr liebt.« Michael Brenners Motiv ergab sich vor allem aus Fragen zu seiner Identität: »Was hat mich geprägt? Was hat meine ganze Generation geprägt? Wer war mein Vater?« Er gab nicht auf, bis er 2010 einen Verlag fand, der sein Manuskript als book-on-demand in sein Programm nahm. Denn Brenner sieht sich als Aufklärer. Er will in seiner Generation einen Diskurs anstoßen. Er sagt, das Buchprojekt sei das Kreativste gewesen, was er in den letzten 10 Jahren gemacht habe. Im Laufe des Prozesses habe sich auch sein schwieriges Verhältnis zu seiner nationalen Herkunft entspannt. Das macht mich neugierig. Was muss ich mir darunter vorstellen? Auf die Gefahr hin, dass ich in seinen Augen mit allzu oberflächlichen Kriterien hantiere, spreche ich ihn auf die Fußballweltmeisterschaft 2006 an. Ob auch er mit einem Deutschlandfähnchen am Autofenster durch die Gegend gefahren sei? »Nein. Ich konnte da nicht mitjubeln«, sagt er. «Jüngere können das tun, das ist in Ordnung. Aber ich selbst würde mir eher die Zunge abschneiden, als die deutsche Nationalhymne singen. Ich kann’s nicht, selbst wenn ich wollte.« Dennoch sei in seinem Verhältnis zu Deutschland Entspannung eingetreten. Zum Beispiel empfinde er keinerlei stellvertretende Schuld mehr. Mit dem Schreiben des Buchs habe er sich von den letzten Resten befreit.
Während seiner intensiven Beschäftigung mit den fünfziger und sechziger Jahren ist er, wie er mir erläutert, immer mehr weggegangen von der Frage: Was war das Rebellische in unserer Jugend?, hin zu der Frage: Was war los in den Familien und im Krieg? Daraus entwickelte sich seine Auseinandersetzung mit Vater und Vaterland. Lebhaft berichtet er von den Anfängen seiner Erkenntnisreise: »Das hätte ich mir vor fünf Jahren nicht vorstellen können, dass es mir wie Schuppen von den Augen fällt, wie sehr die Erwachsenen beschädigt waren, wie sehr diese Dunstglocke von Schuld und Verschweigen über meinen |158| ersten Kindheitsjahren lag. Und dann mein großes Aha-Erlebnis: Plötzlich wurde mir klar, wie sehr ich mich als Deutscher im Ausland befangen und unsicher gefühlt habe. Und irgendwann guckt mich eine Freundin an – es war bei einem Wein beim Griechen – und sagt: Wieso ist das neu für dich? Das ging uns doch allen so … Das war mein blinder Fleck. Ich
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