Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
Vom Netzwerk:
Aber wir hatten einen dabei, das war ein Ostpreuße. Was wir brauchten, ob das eine Kuh oder ein Schwein war, das ging der holen. Ja, die kämpfende Truppe, die mussten was essen. Die lagen da vorn im Dreck, und wir lagen 15 Kilometer hinter der Kampflinie. Das war für uns sicherer als für die vorn.
     
    |150|
Ja, Sie haben viel Glück gehabt. Aber ich finde, privat haben Sie viel Unglück erlebt.
    Privat – da sage ich: Glück und Unglück.
     
    Wie alt war ihre Tochter, als sie starb?
    Ja, sehen Sie: So etwas vergesse ich. Sagen wir so: Deren Kinder hatten da schon die Schule hinter sich.
     
    Besuchen Sie manchmal Ihre Enkel?
    Nein, jetzt nicht mehr. Wie soll ich dahin kommen?
     
    Die könnten auch mal hierher kommen.
    Die kommen aber nicht. Zweimal waren sie bei mir. Das letzte Mal ist bestimmt drei Jahre her. Die sagen beide, sie hätten kaum Zeit. Sag ich: Aber Urlaub macht ihr, und da habt ihr keinen halben Tag übrig, um mich zu besuchen? Das ist traurig … Aber was soll ich machen? Da kann man nichts machen. Es schert sich keiner mehr um mich. Es ist ja keiner mehr da.
     
    Kommt es Ihnen so vor. als würden Sie Überstunden im Leben machen?
    (lacht) Das kann man wohl sagen.
     
    Ja, Dann bedanke ich mich ganz herzlich. War ein sehr interessantes Gespräch.
    Wenn es Ihnen gefallen hat. Wie gesagt, mit Daten komme ich nicht mehr zurecht. Aber sonst weiß ich noch vieles …
     
    Ich weiß.
    … auch wenn ich jetzt nicht alles gesagt habe. Ich weiß viel, und manchmal, wenn ich so richtig drin bin, dann wird es mir so komisch, dann könnt ich heulen. Die Kameraden. Neben mir sind sie gestorben – und ich bin noch da! Ich bin heil herausgekommen aus dem Schlamassel. Arbeiten konnte ich immer gut.
     
    |151|
Sie sind körperlich heil rausgekommen. Glauben Sie, dass Ihre Seele auch heil war, nach dem, was Sie alles erlebt haben?
    Ja, ich hab das alles überwunden. Heute haben Sie mich jetzt nach bestimmten Dingen gefragt, da denkt man daran. Aber sonst sind meine Gedanken nicht mehr dort. Ich kann sehr gut schlafen. Ich werde auch heute Nacht gut schlafen.
     
    Das Interview fand im Herbst 2009 statt, 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ein Rückblick ohne Glorifizierung und Rechtfertigungen. Keine Rede von Jugend, Kraft und großem Abenteuer. Aber auch keine Rede von schlecht vernarbten Wunden oder seelischen Belastungen. Friedrich S. gehörte zu jenen, die später schwiegen, aber er war kein Verdränger. Von seiner Atemnot, die er bei der Begrüßung angesprochen hatte, war während unserer Begegnung nichts mehr zu spüren. Dennoch machte ich mir zunehmend Sorgen um ihn, vor allem, weil er so oft betonte, wie viel Glück er gehabt habe, was ich als einen Versuch der Selbstberuhigung empfand. Nach einer guten Stunde beendete ich unser Gespräch. – Einem einsameren Menschen als Friedrich S. bin ich nur selten in meinem Leben begegnet. Mein Eindruck ist, seine Einsamkeit begann schon in jungen Jahren, in Russland.

|153| Fünftes Kapitel
Ermittler in eigener Sache
    |155| Ein Kämpfertyp
    Wenn wir den Begriff »Zeitzeugen« hören, sehen wir alte Menschen vor uns. In den vergangenen zehn Jahren haben ihre Auftritte im Fernsehen enorm zugenommen. Zeitzeugen der NS-Ver gangenheit , des Krieges, der Massenverbrechen, des Widerstands, der Vertreibung. Fast alle Menschen, die sich äußerten, sahen sich als Opfer. Ganz anders Michael Brenner, als er um ein Interview zu der Jugendrevolte von 1968 gebeten wurde. Damals war er 17 Jahre alt. Nun mit 55 Jahren sah er eine Chance, seine Erinnerungen aufzufrischen und die aufregendste Phase seines Lebens mit Abstand zu reflektieren. Und dann die erste Frage: »Was hat Ihr Vater im Krieg gemacht?« Damit hatte er in keiner Weise gerechnet. Das Interview weitete sich aus zu einem Gespräch über fünf Stunden und entwickelte eine ganz eigene Dynamik. Ein Buch entstand. Es enthält Brenners Erinnerungen und Einschätzungen seiner Kindheit und Jugend. Dreieinhalb Jahre schrieb er daran. »In den Jahrzehnten vorher«, sagt er, »habe ich jede Frage nach Eltern und Kindheit abgewehrt, nach dem Motto: Familie hab ich nicht, kenn ich nicht, will ich nicht.«
    Offen gesagt, als wir am Telefon miteinander sprachen, stellte ich ihn mir vor als einen dieser 68er, die in die Jahre gekommen sind: milde geworden, schlecht angezogen, schnauzbärtig, ein bisschen resigniert. Tatsächlich begrüßt mich ein gut gelaunter Mann, glatt rasiert, der sportliche Typ – optisch von

Weitere Kostenlose Bücher