Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
Vom Netzwerk:
ganz anderes Leid. »Früher nämlich war sein Unglück konkret gewesen, in gewisser Weise. Solange er geglaubt hatte, es rühre allein von Auschwitz her, hatte es einen Inhalt gehabt.« 18

Kein Talent zum Glücklichsein
    Vielleicht hat er ja einfach nur kein Talent zum Glücklich sein. Aus reiner Gewohnheit besucht er eine Gedenkveranstaltung in einer Kirchengemeinde, er sieht Besucher, die genauso unglücklich |140| aussehen wie er selbst, es befremden ihn die erstarrten Rituale, die über Jahrzehnte eingeübte Betroffenheit.
    Bei Reinhard Pahle führte der Wiedergutmachungsdrang zu etwas Positivem, zu einer Begegnung zwischen ehemaligen Zwangsarbeitern und deutschen Schülern, die für die alten Menschen aus der Ukraine gewiss etwas Tröstendes, vielleicht auch Heilsames hatte. Aber wenn in die Jahre gekommene Initiativgruppen, wo sich die schuldlos Schuldigen sammeln, auf Grund von Kalenderdaten eine Gedenkveranstaltung ausrichten, kommt in der Regel nichts Einladendes dabei heraus. Das Fixiertsein auf die deutsche Schuld macht unfrei und unkreativ. Aus Angst, man könne von den Opfern missverstanden werden, fällt Menschen in ihrem an sich verdienstvollen Bemühen, das Erinnern an den Holocaust hochzuhalten, nichts Neues mehr ein. Es fällt ihnen nichts Überzeugendes mehr ein. Jedenfalls erreicht man so nicht die Herzen der Jüngeren, im Gegenteil, man stößt sie ab.
    Nachkriegskind Iris Hanika hat die heutigen Auswirkungen der NS-Vergangenheit genau im Blick. Die Absurditäten des Shoah Business gehören ohne Zweifel dazu. Dass ihr Buch »Das Eigentliche« in den Kulturredaktionen verstanden wurde, deutet darauf hin, dass inzwischen ein recht souveräner Umgang mit der deutschen Vergangenheit erreicht ist. Zehn Jahre früher wäre Vergleichbares nicht gedruckt worden – ich glaube, es wäre erst gar nicht gedacht worden.
    In der Generation der Nachkriegskinder ist während dieser Zeitspanne die Fixierung auf die deutsche Schuld deutlich schwächer geworden, ohne dass die befürchtete Relativierung der deutschen Schuld an ihre Stelle getreten wäre. Das Umdenken kam nicht über Nacht, sondern langsam, unauffällig und ist auf viele Einflüsse zurückzuführen: die nachdenklicheren Töne in den Medien, offene Gespräche im Ausland, der kreative Austausch im eigenen Land, wenn Ostdeutsche und Westdeutsche ohne Vorurteile zusammentreffen, die unbefangenen Fragen der Kinder und die Erfahrungen der eigenen Lebensspanne.

|141| INTERVIEW
»Ich weiß vieles, aber darüber rede ich nicht«
    Friedrich S., geboren 1912, über seine Odyssee in der Wehrmacht
     
    Friedrich S. war zum Zeitpunkt unseres Gesprächs 97 Jahre alt, inzwischen ist er verstorben. Für mich überraschend lebte er noch in den eigenen vier Wänden. Am Morgen meines Besuchs rief ich ihn noch einmal an, um mich zu vergewissern, ob er mich tatsächlich empfangen würde. Nun zeigte er sich misstrauisch, er erinnerte sich nicht mehr daran, dass unser Kontakt durch einen Freund von ihm zustande gekommen war. Er stellte die direkte Frage, ob ich vorhätte, ihn auszurauben. Da müsse er mich warnen: Er sei zwar alt aber immer noch stark.
    Als ich seine Wohnung betrat, lief im Fernsehen eine Kochsendung. Mich begrüßte ein zierlicher Mann. Ich erfuhr, gerade heute litte er etwas unter Atemnot, ansonsten sei er geistig und körperlich noch »im guten Zustand«. Friedrich S. war zweimal verwitwet, seine beiden Kinder leben auch nicht mehr. Mit dem Thema Krieg, versicherte er mir, habe er keinerlei Probleme.
     
    Sie haben den ganzen Krieg mitgemacht. Welcher Jahrgang sind Sie?
    Ich wurde 1912 geboren. Mit 16 kam ich in die Lehre. Nach drei Jahren war ich Geselle.
     
    Sie machten eine Ausbildung als Koch?
    Nein, ich wurde mit 19 Jahren Metzgergeselle. In den ersten drei Monaten war ich bei einem Hungerkünstler. Mein Vater hat immer gesagt: Arbeiten ist gut – aber gut essen musst du. Wo du nicht gut zu essen bekommst, da haust du ab! Und das war so. Nach drei Monaten war ich weg! Da bin ich nach Wuppertal gekommen in eine Metzgerei, dort war ich ungefähr ein Jahr. Es wurde viel gearbeitet, von morgens 5 bis abends 9. Nach einem Jahr ging ich nach Düsseldorf. Da war ich dann in drei Metzgereien. |142| Die letzte Stelle, die war bei einem Juden, und der kriegte von den Nazis alles weggenommen. Da ging ich noch weiter weg, ich bekam eine Stelle in Krefeld. Dort war ich dann, bis ich mit 28 Jahren eingezogen wurde. Damals war schon Krieg in Frankreich. Ich

Weitere Kostenlose Bücher