Nachkriegskinder
seine Familie ernähren können, und das sei womöglich sein Glück gewesen. »Diese Arbeit hat ihm Halt gegeben. Als Handwerker war er voll auf das Hier und Jetzt konzentriert, was, wie wir aus der Traumaforschung wissen, am besten geeignet ist, um seelisch im Gleichgewicht zu bleiben.« Fazit: »Aus heutiger Sicht hat mein Vater das Richtige gemacht, auch weil er
nicht
über Stalingrad gesprochen hat.« Typisch für Helmut Rudow war, dass er mit keinem Wort erwähnte, warum er Schnee hasste. Im Winter schimpfte er laut über das Schneeschippen, während die Tochter dachte: Was soll das Gemecker … und fröhlich mit ihrem Schlitten loszog. Als Brunhild klein war, hatte sie einen Vater, der gern mit der Tochter balgte, doch mit der Einschulung hörte die Vertrautheit zwischen ihnen auf. Es gab keinen Körperkontakt mehr. Heute weiß sie, wie üblich ein solches Verhalten bei Männern seiner Generation war.
Die religiöse Erziehung der Kinder lag ihm am Herzen, gleichwohl bewahrte er sich seinen kritischen Blick auf das Christentum. Brunhild ging zur Konfirmation, nicht zur Jugendweihe, |202| und sah sich dennoch von ihren Lehrern respektiert. Ihre Diskussionsbeiträge wurden von den Mitschülern geschätzt, auch dann, wenn sie eine unangenehme Frage stellte: Warum ist an der Grenze der Stacheldraht auf unserer Seite, wenn der uns doch vor dem Feind schützen soll …
Mit 16 Jahren musste sie die Schule verlassen. In dieser Frage hatten höhere Parteisoldaten das Sagen, die nach dem Einfachmuster entschieden: Wer sich konfirmieren lässt, kriegt kein Abitur. »In unserer Familie war man von der Karriere her gesehen immer auf der falschen Seite«, erzählt Brunhild Bomberg. »In der Nazizeit war Opa bei den Kommunisten. Nach dem Krieg wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Sein Sohn, wie die ganze Familie, war dem Christentum verbunden.« Ihre Ausbildung in der Behindertenarbeit verdankt sie der Kirche. Aber auch dort regte sich ihr Widerspruchsgeist: »Beim Staat durfte man die Ideologie nicht in Frage stellen, in der Kirche nicht den Inhalt biblischer Geschichten.« Ganz Kind ihres Vaters blieb sie stur und dachte nicht daran, ihre Haltung dem Erwünschten anzupassen, auch wenn ihr dadurch Vorteile entgingen.
Das Unglück kam mit der Pubertät
Dass ihr in der DDR die Bildungschancen beschnitten wurden, hatte auch eine positive Seite. Sie konnte ihr Elternhaus schon früh verlassen. Während ihrer Ausbildung wohnte sie in einem Internat. Von Anfang erkannte sie darin einen großen Gewinn, denn mit Beginn der Pubertät wurde sie ein partiell sehr unglückliches Mädchen. Auffällig war ihre Gewichtszunahme – einen Körperpanzer nennt Brunhild Bomberg es heute. »Ich hatte Angst, beschämt zu werden«, erklärt sie, »denn in meiner Familie hat man sich ständig über andere lustig gemacht. Einmal wurde ich mit meinem Freund beim Schmusen erwischt; es wurde in der ganzen Familie rum erzählt und es wurde darüber gelacht.«
Das Beschämt werden traf auch ihren Bruder. Offenbar befürchtete |203| der Vater, sein Sohn könne ihm eines Tages Konkurrenz machen oder ihn überragen. Als Brunhilds Bruder Ingenieur wurde, machte sich der Vater über dessen Fachwissen lustig und fragte rhetorisch, was man wohl von einem Klugscheißer lernen könne. Einen Macho-Vater habe sie nicht gehabt, versichert die Tochter, er sei ja, wie schon gesagt, in den Augen seiner Freunde überhaupt kein männlicher Mann gewesen, und selbstverständlich habe er die Berufsausbildung der Tochter unterstützt. Aber grundsätzlich sei er der Meinung gewesen, eine Ehefrau und Mutter gehöre an den Kochtopf. Als sich seine Frau Mitte der sechziger Jahre eine Arbeitsstelle suchte, kriselte es in der Ehe. Helmut Rudow wollte nicht den Eindruck erwecken, er könne seine Familie nicht ernähren. Er, der sonst nie etwas auf Klatsch gab und stets seinen eigenen Weg ging, der seine Freunde reden ließ, wenn die meinten, er sei kein richtiger Mann – eben dieser Helmut Rudow hielt an einer Einstellung zu Frauen fest, die zutiefst konventionell war. Damit vertrat er eine Sichtweise, die er mit den meisten Ehemännern im Westen teilte. Dass im DDR-Staat die Berufstätigkeit der Frauen ausdrücklich erwünscht war, half seiner Frau sich durchzusetzen. In der Bundesrepublik hätte sie es zu jener Zeit weit schwerer gehabt, weil hier das gesellschaftliche Modell »Kinder-Küche-Kirche« mit einem Anspruch auftrat, der sogar von der Mehrheit der westdeutschen
Weitere Kostenlose Bücher