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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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kein Widerstandskämpfer in der DDR, ich bin ein politischer Mensch gewesen und habe den Kommunismus als den missglückten Versuch gesehen, dem Elend dieser Welt zu begegnen. Und die ideologische und höchst autoritäre Überbeanspruchung des Staates hat immer wieder zu kritischen Auseinandersetzungen in unterschiedlichsten Bereichen geführt. Im Blick auf die Nazizeit und die rassistisch motivierte Ermordung von Millionen ging es mir und anderen um eine wahrhaftigere Gedenkkultur. Wir haben auf unserem Weg die Auseinandersetzung erst lernen müssen, insbesondere mit der Instrumentalisierung des Antifaschismus als Legitimationsnachweis der DDR-Mächtigen. Das westliche Trainingsfeld der 68er hatte ich nicht. Ich sag immer scherzhaft: Ich hatte den Pollenflug der 68er Gedanken in der Nase. Dazu fällt mir ein Streit in der Jugendarbeit im Jahr 1985 ein, 40 Jahre nach Kriegsende. Es ging um den 8. Mai, den Tag der Befreiung, und ich dachte: Wir müssen uns um den »verordneten Antifaschismus« hier bei uns in der DDR kümmern. Es war der Begriff, den Ralph Giordano in seinem Buch »Die zweite Schuld« geprägt hatte. Im Deutschlandfunk war Giordanos Buch rezensiert |216| worden. Ein Freund von mir hat es rübergeschmuggelt. Wir haben diese Kapitel unendlich oft vervielfältigt, auf Maschine abgetippt, hektographiert, unter die Leute gebracht. Leider hatte ich nie Gelegenheit, Giordano dafür zu danken.
     
    Mich hat damals die Lektüre in meiner Einschätzung, wie in der Bundesrepublik mit der NS-Vergangenheit umgegangen wurde, bestätigt, und das allein hat mich schon erleichtert. Aber dass »Die zweite Schuld« auch in der DDR Wirkung zeigte, überrascht mich.
    Damit begann unser Angriff auf die staatliche Erinnerungskultur. Es wurde ja den Menschen eingetrichtert, sie seien die Erben des antifaschistischen Widerstandes. Die meisten Schulkinder wuchsen mit der Vorstellung auf, es habe in Ostdeutschland kaum Nazis gegeben, und wenn doch, dann seien sie nun alle bei den Nazis in Westdeutschland.
     
    So etwas wurde gern geglaubt, oder?
    Ja, das war die DDR-Variante des Wegschauens. In der DDR hieß es: Wir haben den Faschismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Wir haben damals gesagt, wir müssen uns die anderen ehemaligen KZs und heutigen Gedenkstätten in Polen anschauen. Wir haben dann solange mit den staatlichen Stellen verhandelt, bis wir nach Polen fahren durften, nach Majdanek, nach Warschau, nach Auschwitz. Wegen »Solidarnosc« gab es dorthin eine grundsätzliche Reisesperre. Wir haben diese Reise eine Pilgerfahrt genannt. Wir suchten dabei für uns nach einer uns angemessen erscheinenden Erinnerungskultur und Gedenkstättenpädagogik.
     
    Wir machen jetzt einen großen Zeitsprung. Wie kamen Sie zu dem Projekt gegen Rechtsextremismus in Brandenburg?
    Viele wussten, ich bin am Thema »deutsche Vergangenheit« als Problem politischer Bildung dran. Man hat sich dann 1998 in Brandenburg an mich erinnert, als darüber nachgedacht wurde, in welcher Weise Kommunen im Umgang mit diesem Problem |217| beraten werden könnten. Als rechtsextreme Entwicklungen auch unter dem Einfluss rechtsextremer Parteien nicht mehr zu übersehen waren, hatte man das weitgehend als ein Jugendproblem gesehen und verharmlost. Man hatte zunächst Jugendprogramme gegen Gewalt und Ähnliches aufgelegt, aber es blieb wie es war. Vorhandene rechtsextreme Einstellungen in der Breite der Gesellschaft wurden nicht wahrgenommen oder angesprochen. Zu Hause sagten die Eltern wohl, wenn Jugendliche Dönerbuden abgefackelt hatten: Was ihr da macht, ist nicht richtig, aber verstehen können wir’s ja.
     
    Das klingt nach einer echten Herausforderung.
    Ja, ich fühlte mich sinnvoll angefragt, denn dahinter stand doch die Frage: Warum passiert so etwas nach 40 Jahren DDR-Anti faschismus , nach 40 Jahren Indoktrination in der Schule?
     
    Reichten die vielen Initiativen gegen Rechts nicht aus?
    Es gab den plakativen Kampf gegen Rechtsextremismus. Bürgerinitiativen müssen plakativ und öffentlich wahrnehmbar agieren. Daraus ergibt sich allerdings keine hinreichende Strategie für eine Kommune. Bei unserem Auftrag ging es um eine Befähigung der Menschen vor Ort, nicht mit Denunziation und Beschämung vorzugehen, sondern herauszufinden: Was ist den Menschen wichtig in der Gestaltung des Ortes, in dem sie leben? Was fehlt? Welche Werte, welche Regeln sollen bei uns gelten? Demokratische Bürgerbeteiligung ist der sinnvollste Weg, ein demokratisches

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