Nachkriegskinder
Als sie zurückkommt, überrascht mich der Satz: »Ich hätte eine gute Terroristin werden können.« In den Biografien über Terroristinnen, erläutert sie, seien ihr Parallelen zu anderen Elternhäusern aufgefallen. Gut, dass es nicht so weit gekommen sei. Vermutlich, fügt sie hinzu, habe es ihr an Aggressivität gefehlt. »Andere Gleichaltrige waren frech – ich konnte das nie. Ihre Unbedenklichkeit habe ich bewundert.«
Als Studentin hatte Gabi geglaubt, sich einer linken politischen Gruppe anschließen zu müssen. Aber daraus wurde nichts. Sie ertrug den Tonfall der Genossen nicht, ihre Herablassung Frauen gegenüber, ihr autoritäres Gehabe, ihre Kommandos. »Da sollte man in der Frühe ans Werkstor geschickt werden, wo ich doch morgens gern ausschlafe«, erklärt sie ihre Abneigung. »Also davon habe ich mich nicht mehr vereinnahmen lassen. Ich glaube, wegen der ganzen Übergriffe zu Hause war ich gegen neuerliche Übergriffe immunisiert.«
Während ihrer Studentenzeit – endlich! – begann für sie das gute Leben. Sie genoss ihre neue Unabhängigkeit, sie fühlte sich frei in ihrer Sexualität. Die Aufbruchsstimmung und die Liberalität der siebziger Jahre unterstützten sie. Automatisch machte sie das Gegenteil von dem, was ihre Eltern von ihr erwarteten. Das gab ihr als junge Frau trotz aller Selbstzweifel viel Energie. Dass dieser Weg in eine Sackgasse führte, verstand sie allerdings erst viel später. Es sei ihre Strategie gewesen, alles Erzwungene zu meiden. »Mit Ende 40 kam ich dann im Laufe einer Psychotherapie |246| zu der relativ nüchternen Erkenntnis, dass man diesen Zwang nicht loswird, indem man alles anders macht als der Vater und die Mutter.«
In den vergangenen vierzig Jahren hatte sie eine Reihe von längeren Beziehungen, aber die Liebe ihres Lebens fand sie nicht. »Als ich jung war, dachte ich, mich will sowieso keiner«, erklärt sie. »Wer nett zu mir war, der hatte schon von vornherein gute Karten, weil ich dachte, diese Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder.« Mit zunehmender Lebenserfahrung änderte sich ihr Muster. Sie verliebte sich nur in Männer, die, wie sie es ausdrückt, emotional schwer erreichbar waren und sie darüber im Unklaren ließen, ob sie sich binden wollten oder nicht. Schillerndes, ambivalentes Beziehungsverhalten entfachte bei ihr heftigste Gefühle. Konflikten unterlag sie regelmäßig, weil sie stets meinte, sie habe etwas falsch gemacht. Sie konnte nicht erkennen, dass sie zu ihrem eigenen Vater geworden war: Als der sie nicht mehr beschuldigen konnte, übernahm sie es selbst. »Ich habe bis in die kleinste Verästelung nach eigenen Fehlern gesucht, was mich daran hinderte, mal ordentlich auf den Tisch zu hauen und zu sagen: Du tickst nicht richtig! Ja, damit habe ich mich lange gequält.«
Ein netter Mann hatte keine Chance
Einem wirklich netten Mann, der sich Mühe gab und einfallsreich um sie warb, dem entzog sie sich, sobald sie begriff, dass er es ernst meinte. Denn, so ihre verdrehte Logik: Wer mich toll findet, der schaut nicht genau hin, den kann ich nicht mehr respektieren. Ein Kinderwunsch kam erst gar nicht auf. Wie sollte sie, die keinerlei Lebensberechtigung empfand, Leben weitergeben wollen? Noch vor zwanzig Jahren wäre ihr diese Selbstanalyse völlig fremd gewesen. Sie wäre nicht auf die Idee gekommen, dass mit ihr Wesentliches nicht stimmte. Offenbar besaß sie eine große Begabung, sich selbst und anderen etwas vorzumachen. Sie trat gut gelaunt auf, sie galt als humorvoll und unterhaltsam, weil |247| sie witzige, treffende Bemerkungen machte. »Komischerweise habe ich als Erwachsene gedacht, ich bin ein Sonntagskind«, sagt sie. »Und obwohl ich als Kind und später so viel Angst hatte, redete ich mir ein: Ich bin kein ängstlicher Typ.«
Nach dem Studium arbeitete sie zehn Jahre in mehreren kommunalen Modellprojekten der Jugendarbeit. Doch als sich nach einer Wahl das Gewicht der Parteien änderte, geriet die letzte Einrichtung ins Zentrum ideologischer Gefechte. Das ehemalige Vorzeigeprojekt wurde von der CDU als zu linksgestrickt attackiert. Die dort praktizierte Teamarbeit war nun nicht mehr erwünscht, obwohl das hierarchiefreie Arbeiten gut funktioniert hatte. Eine Leitung sollte her. Da reichten alle Mitglieder des Teams die Kündigung ein.
Für Gabi Sonnbach folgten drei äußerst schwierige Jahre, in denen sie jobbte oder sich mit Arbeitslosenunterstützung über Wasser hielt. In Gruppenprojekten der ersten Berufsjahre
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