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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Kinder Rücksicht nehmen, weil fünf Menschen eng zusammen lebten. In der Dreizimmerwohnung hatte die Großmutter einen Raum für sich. Die Kinder schliefen im Elternschlafzimmer ein. Ein Mädchen blieb dort die ganze Nacht in einem Kinderbett, aber das zweite musste, bevor die Eltern schlafen gingen, aus dem Ehebett ins verqualmte Wohnzimmer auf die Couch wandern. Gabi glaubt, die Erwachsenen hätten darin kein Provisorium gesehen, sondern völlig normale Wohnverhältnisse, ein Umzug sei nie im Gespräch gewesen. Die Eltern hätten dort bis zu ihrem Tod gewohnt. Ich nehme den letzten Satz zum Anlass, um zu fragen, ob sie nach dem Tod des Vaters oder dem der Mutter Trauer empfunden habe. »Um welchen Verlust sollte ich trauern?«, fragt sie zurück, »Ich habe ja nicht Menschen verloren, die mich in meinem Leben unterstützt und gestärkt haben. Nein, ich habe keine Trauer empfunden.«
    |239| Als kleines Mädchen, erinnert sie sich, habe sie gelegentlich mit dem Vater gebalgt, folglich müsse es eine Zeit gegeben haben, in der beide Freude aneinander hatten. Mit acht oder zehn Jahren sei das vorbei gewesen. Sie habe sich von ihrem Vater zurückgezogen, körperlich und vor allem emotional. Allerdings, räumt sie ein, habe es einen Küss-Zwang gegeben: zur Begrüßung, zum Abschied, beim Gute-Nacht-Sagen. Dieses Ritual durfte nicht verweigert werden. Es ist überhaupt auffällig bei Gabi Sonnbachs Beschreibung, wie wenig Spielraum es für Kinderverhalten und Kindervorlieben gab. Eine der Vorschriften besagte, Mädchen dürften keine Hosen tragen. Vor und nach dem Essen wurde gebetet. Danach war es Gabi erlaubt, zu fragen: »Darf ich bitte aufstehen?« Sie musste einen Knicks hinter dem Stuhl machen, erst dann durfte sie gehen.

Wie ein Kind um seine Würde kämpfte
    Es gab kein Entrinnen, und dennoch kämpfte Gabi – wie jedes ausgelieferte Kind – um ihre Würde, indem sie verdeckten Widerstand übte. »Ich habe eine Weile gestottert, halbabsichtlich, nur beim Beten«, erzählt sie. Bei den Mahlzeiten bekam man die Essensmengen zugeteilt. Am Ende durfte nichts auf dem Teller zurückbleiben. »Ich habe dann eine halbe Essstörung entwickelt. Sie begleitete mich in mein späteres Leben. In konfliktreichen Phasen konnte ich wochenlang nichts essen und habe mich nur von einem täglichen Apfel ernährt.«
    Dann fällt ihr die Sache mit den Haaren ein: Sie musste Zöpfe tragen – auf keinen Fall Pony! Es durfte keine Strähne in die Stirn fallen. Dafür hatte eine Haarklammer zu sorgen. Gabi fand, sie sähe damit ausgesprochen dümmlich aus, sie verschob die Klammer, wobei es passieren konnte, dass ein paar Härchen ins Gesicht fielen. Was für ein Drama! Gabi musste es – sofort! – korrigieren. Bei Weigerung drohte eine Ohrfeige. Ihre Schwester sei noch mit dem Rohrstock geschlagen worden, sie selbst nicht, doch habe sie |240| das Verprügeltwerden ihrer Schwester mitbekommen, und der Rohrstock habe gut sichtbar seinen Platz im Bad gehabt. Auch sei damit gedroht worden, die Töchter ins Heim zu stecken. Wilhelm und Hanna Sonnbach waren sich in Erziehungsfragen einig, was sie häufig und mit einem gewissen Stolz betonten. Gabi schildert sie als völlig frei von Empathie.
    Hatte man etwas verkehrt gemacht, dann musste man antreten, an den Schreibtisch, hinter dem Vater saß, der dann seine übliche Standpauke hielt. »Er hat oft behauptet, wir hätten Flecken auf seinen Schreibtisch gemacht, weil wir dort unsere Schularbeiten machen mussten«, erinnert sich seine Tochter. »Aber wir hätten schon aus Angst nie irgendwelche Flecken gemacht. Immer hat er etwas behauptet, was nicht stimmt, bis ich es selbst geglaubt habe. Was dauernd geschah: Ich kann mich nicht wehren, ich fange an zu heulen … sehr demütigend, er sitzt hinter seinem Schreibtisch, ich heule und will weggehen. Der Vater: Wo gehst du hin? Ich: Ich möchte mir ein Taschentuch holen. Der Vater: Musst du vorher fragen. Ich: Darf ich mir bitte ein Taschentuch holen?« Gabi Sonnbach hält inne, atmet bewusst tief aus. Dann fragt sie: »Warum macht ein Mann so etwas, wenn er früher als junger Mensch vielleicht mal ganz gut drauf war? Wieso ist er imstande gewesen, uns mit diesem Druck zu erziehen?«
    Er zwang seine Tochter zum Geigenspiel, zum täglichen Üben. Ein Zwang unter vielen Zwängen. Als Erwachsene fasste sie keine Geige mehr an. Und doch blieb etwas. Ihre Liebe zur Musik hatte des Vaters Härte nicht zerstören können. Bis heute ist Gabi Sonnbach

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